Zwischen Anspruchsdurchsetzung und Anfechtungsrisiko
Von unserem DIRO-Anwalt in Aachen, Herr Carsten Lange, Tel: +49 241 94621138 , E-Mail: lange@dhk-law.com , www.dhk-law.com
Eine Zahlungserinnerung: der Freund oder Feind des Gläubigers?
Wirtschaftlich herausfordernde Situationen von Schuldnern sind alltägliche Realität, insbesondere für Unternehmen, die regelmäßig Zahlungsforderungen durchsetzen müssen. Ein offener Anspruch will geltend gemacht werden, doch wie sollte die Ansprache des Schuldners ausgestaltet sein? Ist der berühmte „freundliche Ton“ tatsächlich geeignet, das Risiko einer späteren Insolvenzanfechtung zu minimieren? Die Beantwortung dieser Frage ist keineswegs trivial, wie ein nüchterner Blick auf die aktuelle Rechtsprechung zeigt.
Das Mahn-Dilemma: Druck erzeugen – Anfechtung riskieren?
Jeder Gläubiger steht vor demselben Zwiespalt: Einerseits kann eine deutliche und nachdrückliche Mahnung die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Schuldner – sei es aus Furcht oder aus Priorisierung – die offene Forderung aus den begrenzten Mitteln begleicht. Andererseits wächst mit jeder Verstärkung des Drucks das Risiko, dass die spätere Zahlung vom Insolvenzverwalter wegen Anfechtbarkeit zurückgefordert wird, wenn der Schuldner innerhalb eines kritischen Zeitraums insolvent wird.
Die zentrale Überlegung des Insolvenzverwalters im Nachgang: Lassen sich im Schriftwechsel Hinweise darauf finden, dass dem Gläubiger die Krise des Schuldners bereits bekannt war? Und: Enthielten die Schreiben so deutliche Hinweise auf eine drohende Vollstreckung, dass die Zahlung auf unzulässigem Druck beruhte?
Wer ist betroffen? Eine Gegenüberstellung der Gläubigerarten und ihrer Risiken
Sozialversicherungsträger und Finanzämter:
Diese Institutionen verfügen über besondere Stellung: Sie besitzen das Privileg, eigene Titel zu schaffen und unmittelbar Zwangsvollstreckung einzuleiten. Wird in entsprechenden Schreiben Zwangsvollstreckung angekündigt, besteht kein erst verzögerter, sondern unmittelbarer Handlungsdruck. Rechtliche Folge: Im Falle einer Zahlung durch einen bereits zahlungsunfähigen Schuldner kann dies als inkongruente Deckung (§ 131 InsO) bewertet und erfolgreich angefochten werden.
Sonstige Gläubiger (z.B. Lieferanten, Dienstleister):
Auch ohne vergleichbare Vollstreckungsmacht besteht für andere Gläubiger ein nicht minder relevantes Risiko. Mahnungen und Zahlungsaufforderungen können ebenfalls anfechtbar werden, wenn aus dem Wortlaut hervorgeht, dass dem Gläubiger die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners bewusst war und diese tatsächlich vorlag. Die Zahlung wäre dann als kongruente Deckung nach § 130 InsO zurückzuerstatten.
Zwischen den Stühlen: Der „freundliche Mittelweg“?
Viele Gläubiger suchen einen Ausweg: Lässt sich durch möglichst unverbindliche und freundlich gehaltene Schreiben das Risiko einer Anfechtung reduzieren? Nach dem Motto: „Nur eine höfliche Erinnerung, noch keine Mahnung“ – so werden Insolvenzverwaltern regelmäßig solche Einlassungen entgegengehalten.
Klare Ansage vom BGH: Form mildert nicht Inhalt
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 22.05.2025 (Az. IX ZR 80/24) die Hoffnung genommen, wonach ein nur freundlicher oder diplomatisch formulierter Text das Anfechtungsrisiko mindern könnte.
Fallbeispiel
Ein Sozialversicherungsträger forderte zur Zahlung auf und formulierte besonders höflich, mit dem Betreff: „Bitte denken Sie an Ihre Beitragszahlung“. Dennoch wurde in diesem Schreiben – wenn auch sprachlich abgeschwächt – auf die Möglichkeit einer bevorstehenden Zwangsvollstreckung hingewiesen.
Der BGH stellte dazu unmissverständlich klar: Entscheidend ist nicht der Tonfall, sondern der objektive Inhalt des Schreibens. Selbst implizite Hinweise, die zwischen den Zeilen einen Vollstreckungsdruck vermitteln, erfüllen die Voraussetzungen für eine Anfechtbarkeit. Freundlichkeit in der Form entbindet nicht von der rechtlichen Wirkungsweise des Geschriebenen.
Besonders bedeutsam: Diese Grundsätze finden nicht ausschließlich bei Sozialversicherungsträgern Anwendung, sondern sind gleichermaßen auf alle übrigen Gläubiger übertragbar.
Fazit und rechtlicher Ausblick
Gläubiger befinden sich bei der Durchsetzung offener Forderungen im ständigen Balanceakt: Ein zu forsches Vorgehen kann das Risiko einer späteren Rückforderung durch den Insolvenzverwalter erheblich steigern. Ein freundlicher Ton reicht keinesfalls aus, dieses Risiko zu beseitigen. Nur eine textlich und inhaltlich zurückhaltende Formulierung, die ohne Androhung von Vollstreckung und ohne Ausdruck des Wissens um die Zahlungskrise des Schuldners auskommt, bietet einen gewissen Schutz. Der Wunsch, durch Nachdruck bevorzugt bedient zu werden, bleibt so regelmäßig unerfüllt.
Das Dilemma zwischen erfolgreicher Anspruchsdurchsetzung und insolvenzrechtlicher Anfechtung bleibt bestehen – letztlich ist der scheinbar „freundliche Ton“ allein keine hinreichende Antwort.
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