Schiedsgerichtsbarkeit Schweiz Statutarische Schiedsklauseln als Chance für KMU (CH)
Seit dem 1. Januar 2023 sieht das Schweizer Obligationenrecht (OR) vor, dass AGs, GmbHs und Kommanditaktiengesellschaften in ihren Statuten gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz entscheiden lassen können. Diese Möglichkeit ist vor allem für KMU interessant, die eine überschaubare Aktionärsstruktur haben.
Schweizer KMU sind in zahlreichen Verträgen mit Schiedsklauseln konfrontiert, manchmal ohne davon bewusst Kenntnis zu nehmen. Vor allem im internationalen Geschäftsverkehr sind Schiedsklauseln weit verbreitet, sei es in Verträgen mit Lieferanten oder mit Geschäftskunden. Damit wird sichergestellt, dass im Falle einer Streitigkeit keine der Vertragsparteien den Vorteil hat, vor den Gerichten des «eigenen» Staats zu prozessieren. Ein Schiedsgericht wird von den Parteien selbst gewählt und tritt an die Stelle der staatlichen Gerichte. Das heisst, ein Schiedsentscheid bindet die Parteien wie ein Entscheid eines staatlichen Gerichts.
Neue Rechtssicherheit
Was in Verträgen weit verbreitet ist, findet sich zurzeit kaum in Statuten von Schweizer Kapitalgesellschaften. Grund dafür sind Rechtsunsicherheiten über die Gültigkeit und Wirkung einer statutarischen Schiedsklausel, die vor dem 1. Januar 2023 herrschten. Diese Rechtsunsicherheiten wurden mit dem neuen Artikel 697n OR beseitigt. Demnach können die Statuten einer Schweizer Aktiengesellschaft vorsehen, dass gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht mit Sitz in der Schweiz beurteilt werden.
Das Gesetz sieht vor, dass eine statutarische Schiedsklausel die Gesellschaft, die Organe der Gesellschaft, die Mitglieder der Organe und die Aktionäre bindet. Artikel 697n OR gilt auch für Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Art. 797a OR) und Kommanditaktiengesellschaften (Art. 764 Abs. 2 OR).
Vor- und Nachteile
Zu den gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten gehören beispielsweise Klagen auf Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen oder Klagen auf Nichtigkeit von Generalversammlungs- oder Verwaltungsratsbeschlüssen. Derartige Prozesse können eine Gesellschaft stark belasten, da das rechtliche Schicksal von Beschlüssen lange in der Schwebe bleibt. Die Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit liegen neben der bereits erwähnten Neutralität vor allem darin, dass ein Schiedsgericht oft schneller entscheiden kann als ein staatliches Gericht. Liegt der Streitwert unter 1 Millionen CHF sehen zum Beispiel die Verfahrensbestimmungen des Swiss Arbitration Centre, die sogenannten Swiss Rules, vor, dass ein Entscheid innerhalb von sechs Monaten seit Übergabe der Akten an das Schiedsgericht zu ergehen hat. Zudem ist der Schiedsentscheid in der Regel endgültig, da die Anfechtungsmöglichkeiten begrenzt sind. Offen steht nur die Beschwerde ans Bundesgericht, wobei die Beschwerdegründe sehr limitiert sind. Damit kann ein langjähriger Instanzenzug vermieden werden.
Daneben profitieren die Parteien davon, dass Schiedsverfahren im Gegensatz zu staatlichen Verfahren nicht öffentlich sind. Durch eine statutarische Schiedsklausel kann somit vermieden werden, dass Streitigkeiten innerhalb des Aktionariats oder zwischen Aktionären und Organen in der Tagespresse landen. Beispiele dafür gibt es immer wieder. Zu denken ist etwa an den öffentlich ausgetragenen Konflikt zwischen den Aktionären des FC Luzern. Derartige Berichterstattung bindet viele Ressourcen und wirkt sich nicht selten negativ auf die Reputation der Gesellschaft aus.
Bei all diesen Vorteilen gilt es jedoch zu beachten, dass einem Schiedsgericht keine Staatsgewalt zukommt. Es kann keine Vollstreckungsmassnahmen durchsetzen und zum Beispiel dem Handelsregister keine verbindlichen Anweisungen geben.
Statutarische Musterklausel
Um Gesellschaften die Umsetzung von Artikel 697n OR zu erleichtern, stellt das Swiss Arbitration Centre eine statutarische Musterschiedsklausel sowie eine ergänzende Schiedsordnung zur Verfügung (siehe www.swissarbitration.org/centre/arbitration/arbitration-rules/ ). Damit wird sichergestellt, dass ein Schiedsverfahren gestützt auf eine statutarische Schiedsklausel den neuen gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Der empfohlene Inhalt der Musterschiedsklausel lautet wie folgt (siehe https://www.swissarbitration.org/centre/arbitration/arbitration-rules/ ):
«(1) Alle gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten, unter Ausschluss von Angelegenheiten, die dem summarischen Verfahren nach Artikel 250 lit. c der Schweizerischen Zivilprozessordnung [ZPO] unterliegen, sind durch ein Schiedsverfahren gemäss der Internationalen Schweizerischen Schiedsordnung des Swiss Arbitration Centre zu entscheiden. (Anm. der Red.: Der Zusatz «und unter Ausschluss von Klagen auf Kraftloserklärung der restlichen Beteiligungspapiere nach dem Bundesgesetz über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten und Derivatehandel» wurde hier weggelassen, da er nur für wenige KMU relevant ist.) Es gilt die zur Zeit der Einreichung der Einleitungsanzeige in Kraft stehende Fassung der Schiedsordnung.
(2) Der Sitz des Schiedsverfahrens ist … (Sitz der Gesellschaft/andere Stadt in der Schweiz).
(3) Die Sprache des Schiedsverfahrens ist … (gewünschte Sprache einfügen).»
Der Vorbehalt der Verfahren nach Artikel 250 lit. c ZPO nimmt jene Streitigkeiten aus, die oft mit Vollstreckungsmassnahmen verbunden sind. Dieser Vorbehalt ist nicht zwingend, jedoch aufgrund der fehlenden Vollstreckungsgewalt des Schiedsgerichts empfohlen.
Die statutarische Schiedsklausel kann zu dem mit weiteren Bestimmungen ergänzt werden. Denkbar sind Bestimmungen zur Anzahl der Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen und deren Ernennung. Eine derartige zusätzliche Klausel ist zu begrüssen, um Verzögerungen zu vermeiden, denn insbesondere bei gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten sind oft mehr als zwei Parteien im Verfahren involviert oder davon betroffen. Zu denken ist zum Beispiel an Aktionäre, die von der Gültigkeit oder Ungültigkeit eines Gesellschaftsbeschlusses betroffen sind, auch wenn sie daran nicht aktiv teilnehmen.
Gemäss Artikel 697n Abs. 3 OR haben die Statuten sicherzustellen, dass Personen, die von den Rechtswirkungen des Schiedsentscheids direkt betroffen sein können, bei der Bestellung des Schiedsgerichts mitwirken können. Es wird davon ausgegangen, dass die Ernennung des Schiedsgerichts durch eine neutrale Instanz, zum Beispiel durch den Schiedsgerichtshof des Swiss Arbitration Centre, den Voraussetzungen von Artikel 697n Abs. 3 OR genügt.
Je nach Gesellschaft ist auch der Vorschlag des Swiss Arbitration Centre interessant, die Kosten des Schiedsverfahrens der Gesellschaft aufzuerlegen. Das ist möglich, wenn die klagende Partei Aktionärin oder Aktionär ist, einen berechtigten Grund zur Klage hatte und keine überwiegenden Interessen der Gesellschaft entgegenstehen. Je nach Bedürfnis der Gesellschaft und Zusammensetzung des Aktionariats oder der Gesellschafter kann sich ferner eine separate Bestimmung zu den Mitteilungen an die Aktionärinnen und Aktionäre bzw. Gesellschafter durch das Schiedsgericht aufdrängen.
Statutenänderung
Die Einführung der statutarischen Schiedsklausel gehört zu den wichtigen Generalversammlungsbeschlüssen. Gemäss Artikel 704 Abs. 1 Ziff. 14 OR braucht es dazu mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen und die Mehrheit der vertretenen Aktiennennwerte. Bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sind neben mindestens zwei Drittel der vertretenen Stimmen die absolute Mehrheit des gesamten Stammkapitals, mit dem ein ausübbares Stimmrecht verbunden ist, erforderlich (Art. 808b Abs. 1 Ziff. 10bis OR).
Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, gilt die Schiedsklausel auch gegenüber Aktionären und Gesellschaftern, die nicht zugestimmt haben. Zudem ist die Änderung der Statuten öffentlich zu beurkunden und im Handelsregister einzutragen.
Fazit
Die Möglichkeit, statutarische Schiedsklauseln vorzusehen, stellt für KMU eine Chance dar. Das Swiss Arbitration Centre bietet mit der statutarischen Musterschiedsklausel und der ergänzenden Schiedsordnung für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten eine wertvolle Umsetzungshilfe für KMU. Die konkrete Ausgestaltung der statutarischen Schiedsklausel sollte dennoch für jede Gesellschaft individuell geprüft werden.