Gerichtsbekannt: Auf die Bahn ist kein Verlass
Das Verhältnis zwischen Zuganreise und Fluganschluss bei Pauschalreisen wirft häufig rechtliche Fragen auf. Insbesondere die sogenannte Rail&Fly-Leistung verbindet Zugfahrt und Flug in einem Reiseangebot. Doch was gilt, wenn die Bahn unpünktlich ist und Reisende ihren Flug verpassen? Mit seinem Urteil vom 3. Juli 2025 (Az. 16 O 43/24)hat das Landgericht Koblenz hierzu Stellung genommen und entschieden, dass Pauschalreisende nicht automatisch Anspruch auf Schadenersatz haben, wenn sie wegen einer Bahnverspätung ihren Flug und damit die gesamte Reise verpassen.
1. Rechtlicher Rahmen
1.1 Pauschalreisevertrag und Rail&Fly
Ein Pauschalreisevertrag nach § 651a ff. BGB umfasst mehrere Reiseleistungen, die zu einem Gesamtpreis angeboten werden. Durch das Pauschalreiserecht sollen Reisende vor unvorhergesehenen Risiken geschützt werden. Bestandteil vieler Pauschalreisen ist ein Rail&Fly-Ticket: Ein Gutschein zur Nutzung der Deutschen Bahn zur Anreise zum Abflughafen. Ob dieser im Rechtsverständnis eine Vertragsleistung des Veranstalters darstellt, war bereits streitig, wurde hier aber vom Gericht bejaht.
1.2 Schadensersatz und Vereitelung der Reise
Nach § 651n BGB kann der Reisende einen Schadensersatz oder eine Entschädigung verlangen, wenn die Reise vereitelt oder erheblich beeinträchtigt wurde. Entscheidend ist dabei, ob ein Reisemangel vorliegt und ob dieser vom Veranstalter zu vertreten ist.
2. Sachverhalt des Urteils
Ein Ehepaar hatte eine Nordeuropa-Kreuzfahrt inklusive Flug ab Frankfurt zum Gesamtpreis von 5.920 EUR als Pauschalreise gebucht. Bestandteil des Angebots war ein Rail&Fly-Ticket, mit dem die Reisenden mit der Deutschen Bahn zum Flughafen anreisen sollten. Der Flug war für 05.11.2023 um 11:50 Uhr angesetzt.
Die Reisenden wählten eine Verbindung, die sie planmäßig um 09:18 Uhr am Frankfurt Flughafen Fernbahnhof hätte ankommen lassen. Durch Zugausfälle, Verspätungen und einen verpassten Anschluss erreichten sie den Flughafen jedoch so spät, dass sie den Check-in nicht mehr rechtzeitig wahrnehmen konnten. Die Folge: Der Flug startete ohne sie und die Kreuzfahrt fiel ins Wasser.
Das Ehepaar forderte von dem Reiseveranstalter 50 % des Reisepreises gemäß § 651n Abs. 2 BGB als Entschädigung. Der Veranstalter wies dies zurück mit dem Hinweis, die Bahnreise sei nicht Vertragsbestandteil gewesen und die Reisenden hätten nicht genügend Zeit eingeplant.
3. Entscheidung des Landgerichts Koblenz
3.1 Rail&Fly als Reiseleistung
Das Gericht bejahte zunächst, dass das Rail&Fly-Ticket Teil der Pauschalreise war und damit rechtlich als Reiseleistung des Veranstalters im Sinne des Pauschalreiserechts anzusehen ist
3.2 Verantwortlichkeit für die verspätete Ankunft
Entscheidend für die Abweisung der Klage war die Einschätzung der Zeitplanung der Reisenden. In den von dem Veranstalter ausgegebenen Reiseinformationen wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass bei Reisen ins Nicht-EU-Ausland drei bis dreieinhalb Stunden vor Abflug am Flughafen eingeplant werden sollten, um Check-in, Sicherheitskontrolle und mögliche Unwägbarkeiten zuverlässig zu bewältigen.
Die vom Ehepaar gewählte Verbindung führte selbst bei planmäßiger Bahnankunft nur zu einer Ankunft zwei Stunden und 32 Minuten vor dem Abflug. Da zusätzlich der Weg vom Fernbahnhof zum Check-in-Schalter zu berücksichtigen war, bewertete das Gericht die Zeitplanung als äußerst knapp kalkuliert.
3.3 Grobe Fahrlässigkeit der Reisenden
Das Landgericht betonte, dass bei der bekannten Unzuverlässigkeit der Deutschen Bahn ein solcher knapp bemessener Zeitpuffer als grob fahrlässig zu werten sei. Die Reisenden hätten daher das Risiko der Verspätung und des daraus resultierenden Nicht-Eintreffens am Flug selbst zu verantworten. Aus diesem Grund scheide ein Reisemangel zugunsten der Reisenden aus, und es bestünden keine Anspruchsgrundlagen nach § 651n BGB.
4. Rechtliche Bewertung und Praxisrelevanz
4.1 Verantwortung des Reisenden
Die Entscheidung des LG Koblenz stellt klar, dass die Verantwortung für eine ausreichend großzügige Anreiseplanung beim Reisenden liegt, auch wenn eine Zuganreise mit einem Rail&Fly-Ticket Teil der Pauschalreise ist. Der Veranstalter kann in den Reiseunterlagen Verhaltensregeln und Zeitempfehlungen festlegen, die im Einzelfall zur vertraglichen Obliegenheit des Reisenden werden.
4.2 Risiko Bahnverspätung
Die Unzuverlässigkeit des Schienenverkehrs ist bei der Planung von Flugreisen zu berücksichtigen. Dies gilt umso mehr, wenn der Anschlussflug zeitkritisch ist und ein verspäteter Bahnanschluss den Verzicht auf die gesamte Reise zur Folge haben kann. Das Gericht betont, dass der Reisende das Risiko eines solchen Szenarios nicht einseitig dem Veranstalter zuwälzen kann.
4.3 Bedeutung für Veranstalter und Kunden
Für Reiseveranstalter ist diese Entscheidung wichtig, weil sie klare Regeln für die Ausgestaltung von Reiseinformationen und Zeitempfehlungen – einschließlich etwaiger Pufferzeiten – erlaubt. Solche Hinweise können helfen, die Haftung des Veranstalters zu begrenzen, ohne den Schutzbereich des Pauschalreiserechts zu reduzieren.
Für Kunden bedeutet das Urteil: Wer einen Rail&Fly-Anschluss wählt, muss nicht nur ein Ticket erhalten, sondern vor allem selbst sicherstellen, dass die gewählte Verbindung einen ausreichenden zeitlichen Puffer bietet. Kommt es durch eine zu knappe Planung zum Verpassen des Fluges, trägt er dieses Risiko grundsätzlich selbst.
5. Fazit
Mit seinem Urteil vom 03.07.2025 – 16 O 43/24 hat das Landgericht Koblenz klargestellt, dass die Verantwortlichkeit für das Einhalten von Anschlusszeiten bei Bahn-Flug-Verknüpfungen nicht allein beim Veranstalter liegt. Selbst wenn das Rail&Fly-Ticket zum Pauschalreisevertrag gehört, obliegt es den Reisenden, ausreichend Zeit für die Anreise einzuplanen – inklusive eines realistischen Puffer zur Berücksichtigung von Zugverspätungen.
Die Entscheidung unterstreicht, dass eine zu knappe Anreiseplanung angesichts bekannter Risiken (z. B. Unzuverlässigkeit der Bahn) als grob fahrlässig gilt und damit einen Anspruch auf Schadenersatz oder Entschädigung aus dem Pauschalreisevertrag ausschließt.
