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Medizinrecht Einmal Facharzt für Chirurgie, immer Facharzt für Chirurgie

I

Mit Urteil vom 28.09.2016 (Aktenzeichen B 6 KA 40/15 R) hat das Bundessozialgericht (BSG) festgestellt, dass die Stelle eines Facharztes für Chirurgie des in diesem Verfahren klagenden MVZ nicht mit einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nachbesetzt werden kann, ohne eine Beschränkung auf unfallchirurgische Tätigkeiten anzuordnen.

Ob aus dem Urteil auch der Umkehrschluss entnommen werden kann, dass eine Nachbesetzung eines Facharztes für Chirurgie durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie bei Beschränkung auf unfallchirurgische Tätigkeiten möglich ist, ist fraglich.

II

1.

Die Nachbesetzung einer Arztstelle in überversorgten Bereichen setzt voraus, dass der seine vertragsärztliche Tätigkeit beendende Arzt und dessen potentieller Nachfolger derselben Arztgruppe im Sinne der Regelungen zur Bedarfsplanung angehören. In der Bedarfsplanung wiederum wird der Versorgungsgrad für jede Fachgruppe und die daraus resultierenden Zulassungsbeschränkungen arztgruppenbezogen ermittelt.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat in der Bedarfsplanungsrichtlinie die für die Bedarfsplanung relevanten Arztgruppen festgelegt. Dabei orientiert sich die Zusammensetzung der Arztgruppen an der (Muster-) Weiterbildungsordnung. Im Bereich der Chirurgie und der Orthopädie und Unfallchirurgie jedoch folgt das Bedarfsplanungsrecht nicht dem Weiterbildungsrecht. Die Musterweiterbildungsordnung wurde auf dem 106. Deutschen Ärztetag 2003 neu gefasst. Die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie für das Gebiet der Chirurgie entfiel. Das Fachgebiet der Orthopädie wurde nicht mehr gesondert aufgeführt. Die Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie bildet seitdem eine Facharztkompetenz im Bereich der Chirurgie ab. Bedarfsplanungsrechtlich bleibt es jedoch zwischen der Trennung von Fachärzten für Chirurgie einerseits und Fachärzten für Orthopädie (und Unfallchirurgie) andererseits.

Die Bedarfsplanungsrichtlinie bestimmt zwar, dass auch bei Änderungen des Weiterbildungsrechts eine Nachfolge des Arztes ermöglicht wird, dessen nach neuem Weiterbildungsrecht erworbene Gebietsbezeichnung derjenigen des Praxisabgebers entspricht. Der Gemeinsame Bundesausschuss benennt hierfür ausdrücklich das Beispiel, dass ein Facharzt für Chirurgie mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie nach altem Recht die Praxis an einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nach neuem Weiterbildungsrecht weitergeben könne. Wesentlich dabei ist indes die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie.

2.

Nach der jetzigen Entscheidung des BSG rechtfertigt die Bedarfsplanungsrichtlinie nicht die Nachbesetzung einer Stelle eines Facharztes für Chirurgie ohne diese Schwerpunktbezeichnung mit einem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie.

Das BSG begründet dies mit der damaligen Übergangsregelung in der Bedarfsplanungsrichtlinie, wonach Chirurgen, die im Besitz der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie waren, die seinerzeit neue Facharztbezeichnung »Orthopädie und Unfallchirurgie« innerhalb einer Frist von drei Jahren beantragen konnten, wenn mindestens zwei Jahre Weiterbildung im Gebiet der Orthopädie nachgewiesen werden. Diese Möglichkeit bestand nur für Chirurgen mit der Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie. Chirurgen ohne diese Schwerpunktbezeichnung konnten die Facharztbezeichnung nicht zu »Orthopädie und Unfallchirurgie« ändern, auch wenn diese tatsächlich überwiegend unfallchirurgisch tätig waren.

Zwischen den beiden Fachrichtungen bestehen Schnittmengen hinsichtlich der Ausbildungsinhalte und der abrechenbaren Leistungen. Das BSG betont allerdings auch die Unterschiede bei den Weiterbildungsinhalten.

Diese Unterschiede führen das Bundessozialgericht zu dem Ergebnis, dass auch bei einer zunächst gleichen unfallchirurgischen Tätigkeit von dem bisherigen Praxisinhaber, Chirurg mit unfallchirurgischem Schwerpunkt, und dem künftigen Praxisinhaber, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, auf das Erfordernis der Übereinstimmung in der bedarfsplanungsrechtlichen Arztgruppe nicht verzichtet werden könne. Die Bedarfsplanung diene dazu, eine ausreichende und gleichmäßige Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Soweit dabei typisierend Arztgruppen gebildet werden, sei zu beachten, dass jeder Facharzt Leistungen grundsätzlich nur innerhalb seines Fachgebietes erbringen darf. Die Genehmigung einer Nachfolge der chirurgischen Arztstelle durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie könnte zu unerwünschten Veränderungen in der Versorgung zulasten der chirurgischen Facharztkompetenz führen. Die Sicherstellung des Angebotes an ausreichenden Leistungserbringern für chirurgische Leistungen außerhalb der Unfallchirurgie würde gefährdet, wenn generell chirurgische Arztsitze mit Fachärzten für Orthopädie und Unfallchirurgie nachbesetzt werden könnten.

Das BSG schließt also eine grundsätzliche Nachbesetzung für Fachärzte für Chirurgie ohne Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie durch Fachärzte für Orthopädie und Unfallchirurgie aus. Diese Feststellungen relativieren auch den Tenor der gerichtlichen Entscheidung, wonach eine Nachfolge eines Facharztes für Chirurgie durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ohne Beschränkung auf unfallchirurgische Leistungen ausscheide. Dieser Tenor dürfte sich letztlich durch den zur Entscheidung gestellten Klageantrag erklären. Die Klägerin des Verfahrens begehrte die Feststellung, dass ihr »im Wege der Nachbesetzung der Stelle eines Facharztes für Chirurgie eine Anstellungsgenehmigung für einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie ohne Beschränkung auf unfallchirurgische Leistungen zu erteilen war (Hervorhebung durch den Verfasser)«. Genau diesen Antrag hat das Gericht alsdann zurückgewiesen, jedoch wird aus den Entscheidungsgründen deutlich, dass seitens des BSG grundsätzlich Bedenken bestehen, wenn ein Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie einem Facharzt für Chirurgie ohne Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie nachfolgen soll.

Die Nachbesetzung eines Facharztes für Chirurgie kann nur dann durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie erfolgen, wenn der Chirurg über die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie verfügt. Fachärzte für Chirurgie ohne diese Schwerpunktbezeichnung können nur von Fachärzten für Chirurgie nachgefolgt werden. Ohne die Schwerpunktbezeichnung Unfallchirurgie ist eine Nachbesetzung durch einen Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie nicht möglich, selbst wenn im Rahmen der Antragstellung beantragt wird, die Leistungen des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie auf die unfallchirurgischen Leistungen zu beschränken.

Beitrag veröffentlicht am
22. September 2017

Thomas Oedekoven
DH&K Rechtsanwälte
Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator

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