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Familienrecht Schweiz Drei Scheidungsmythen auf den Zahn gefühlt (CH)

Um die Institution der Scheidung ranken sich viele Mythen und Vorurteile. Einige davon bestätigen sich, andere hingegen kommen nicht über den Status des Mythos hinaus. Der vorliegende Artikel räumt mit drei gängigen Trennungs- und Scheidungsmythen auf.

«Weigert sich ein Ehegatte, kann man sich nicht scheiden lassen»

Sofern sich die Ehegatten einig sind, können sie dem zuständigen Gericht jederzeit ein gemeinsames Scheidungsbegehren einreichen. Vielfach ist jedoch eine Scheidung mit Emotionen und Streitigkeiten verbunden. Es kann daher sein, dass sich ein Ehegatte unkooperativ verhält und jegliche Mitwirkung im Zusammenhang mit einer Scheidung verweigert. Es fragt sich, ob in einem solchen Fall eine Scheidung trotzdem möglich ist.

Gemäss Art. 114 des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (ZGB) kann ein Ehegatte ohne Mitwirkung des anderen Ehegatten dann die Scheidung verlangen, wenn die Ehegatten bei Einreichung des Scheidungsbegehrens mindestens zwei Jahre getrennt gelebt haben. Vor Ablauf der zweijährigen Frist kann ein Ehegatte ohne Zustimmung des anderen die Scheidung verlangen, wenn ihm die Fortsetzung der Ehe aus schwerwiegenden Gründen, die ihm nicht anzurechnen sind, nicht zugemutet werden kann (Art. 115 ZGB). Solche Gründe liegen aber nur in den seltensten Fällen vor, weshalb diese Scheidungsmöglichkeit praktisch keine Rolle spielt; auf sie wird deshalb nicht weiter eingegangen.

Zurück zum Getrenntleben während zweier Jahre. Ein Ehegatte kann sich also lediglich während zweier Jahre ab dem Zeitpunkt des Getrenntlebens einer Ehescheidung verweigern. Die Ehegatten leben grundsätzlich dann getrennt, wenn sie nicht mehr im selben Haushalt leben, das heisst, wenn mindestens ein Ehegatte aus der ehelichen Wohnung ausgezogen ist. Sind sich die Ehegatten bereits hinsichtlich des Getrenntlebens nicht einig, kann jeder Ehegatte beim Gericht um Eheschutzmassnahmen ersuchen.

Die Verweigerung des einen Ehegatten hinsichtlich der Ehescheidung hat unmittelbare Auswirkungen auf die Scheidungsfolgen: Die während der Ehe angehäuften Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge (2. Säule; Pensionskassengelder) werden bis und mit der Einleitung des Scheidungsverfahrens berücksichtigt. Mit der Verweigerung des einen Ehegatten zur Einleitung eines Scheidungsverfahrens ist der andere Ehegatte somit gezwungen, die Frist von zwei Jahren ab dem Zeitpunkt des Getrenntlebens abzuwarten, bis er das Scheidungsverfahren selbstständig einleiten kann. Die während dieser zwei Jahre angehäuften Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge werden anlässlich der Scheidung folglich ebenfalls berücksichtigt. Vom Hinauszögern der Ehescheidung profitiert regelmässig derjenige Ehegatte, der geringere oder gar keine Beiträge an die berufliche Vorsorge einzahlt.

Der Scheidungsmythos «Weigert sich ein Ehegatte, kann man sich nicht scheiden lassen», ist somit nur bedingt wahr. Die Verweigerung eines Ehegatten, ein Ehescheidungsverfahren einzuleiten, ist lediglich während zweier Jahre nach dem Zeitpunkt des Getrenntlebens möglich. Danach kann jeder Ehegatte alleine beim zuständigen Gericht eine Scheidungsklage einreichen.

«Die Obhut über die Kinder wird stets der Mutter zugeteilt»

«Mater semper certa est» (lat. «die Mutter ist immer sicher»). Dieser rechtliche Grundsatz besagt, dass die Mutter des Kindes immer mit Sicherheit bestimmt werden kann, das heisst diejenige ist, die das Kind geboren hat. Das Gesetz begründet die rechtliche Beziehung zwischen Mutter und Kind somit mit der Geburt. Dies impliziert bereits, dass die Beziehung zwischen Mutter und Kind die stärkere sei als jene zum Vater. Der Mythos wird zudem durch die in den vergangenen Jahrzehnten gelebte klassische Rollenverteilung zwischen Ehefrau und Ehemann, bei der die Ehefrau zu Hause bei den Kindern war, befeuert. Doch entspricht die eingangs erwähnte Behauptung auch tatsächlich der Wahrheit?

Im Zusammenhang mit einem Eheschutz­- oder Scheidungsverfahren regelt das Gericht ebenfalls die Kinderbelange. Insbesondere regelt das Gericht die Zuteilung der Obhut sowie ein allfälliges Besuchsrecht. Weist das Gericht einem Ehegatten die alleinige Obhut zu, so fragt sich, nach welchen Kriterien die Zuweisung erfolgt. Oberste Maxime bei der Entscheidung über Kinderbelange ist stets das Kindeswohl. Das Kind soll, wenn immer möglich, sein gewohntes Umfeld (Freunde / Schule / Wohnung et cetera) beibehalten können und nicht aus bestehenden Strukturen herausgerissen werden.

Sofern während der Ehe eine klassische Rollenverteilung gelebt wurde, bei welcher sich ein Ehegatte um die Kinder kümmerte und der andere das Erwerbseinkommen erwirtschaftete, wird die alleinige Obhut in den meisten Fällen daher demjenigen Ehegatten zugewiesen, der sich bereits während der Ehe um die Kinder kümmerte. Dies jedoch unabhängig davon, ob es sich dabei um die Ehefrau oder den Ehemann handelt, der sich um die Betreuung der Kinder kümmerte.

Das jedoch vom Gesetzgeber mittlerweile bevorzugte Modell ist die sogenannte «alternierende Obhut». Der Gesetzgeber hat mit der ZGB­-Revision per 1. Januar 2017 für Richter die gesetzliche Verpflichtung geschaffen, die Umsetzung dieses Betreuungsmodells zu prüfen, sofern ein Elternteil dies verlangt. Das Modell beinhaltet die Betreuung und Erziehung des Kindes durch beide Eltern zu mehr oder weniger gleichen Teilen.

Die Umsetzung bereitet jedoch oft Schwierigkeiten. Insbesondere die Koordination der Kindesbetreuung und einer Erwerbstätigkeit sowie eine fehlerhafte oder gar nicht existente Kommunikation der Eltern bieten reichlich Konfliktpotenzial. Auch bei der alternierenden Obhut ist eine mutmassliche Lösung stets angesichts des Kindeswohls zu prüfen.

Es ist somit nicht korrekt, dass die Kinder stets in die Obhut der Mutter gegeben werden. Hauptkriterium für die Zuteilung und die Ausgestaltung der Obhut ist stets das Kindeswohl. Welches Betreuungsmodell sich am besten eignet, muss im Einzelfall anhand der konkreten Verhältnisse bestimmt werden.

«Eine Scheidung kostet buchstäblich das halbe Vermögen»

Ein weiterer Mythos hält sich ebenfalls wacker: Wer sich scheiden lassen will, hat einerseits dem anderen Ehegatten sein halbes Vermögen zu zahlen. Andererseits fallen hohe Kosten für Anwälte und Gerichte an, die das Konto zusätzlich belasten. Dieser Mythos ist nachfolgend zu prüfen.

Anlässlich der Scheidung wird die güterrechtliche Auseinandersetzung zwischen den Ehegatten vorgenommen. Klassischerweise leben die Ehegatten im Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Dabei werden die Vermögenswerte je nach deren Herkunft in vier unterschiedliche «Töpfe» eingeteilt. Bei beiden Ehegatten besteht je ein Topf «Eigengut» und ein Topf «Errungenschaft».

Als Eigengut gelten alle Vermögenswerte, welche einem Ehegatten ausschliesslich zum persönlichen Gebrauch dienen – wie Kleider, Schmuck und so weiter –, sowie alle Vermögenswerte, die ein Ehegatte in die Ehe eingebracht hat oder die ihm später durch Erbgang oder anderweitig unentgeltlich zugefallen sind, sowie Ersatzanschaffungen für Eigengut. In den Topf der Errungenschaft gehören unter anderem der Arbeitserwerb – also der während der Ehe angesparte Lohn –, die Erträge des Eigenguts sowie jegliche Ersatzanschaffungen für Errungenschaft.

Jeder Ehegatte hat im Falle der Auflösung der Ehe Anspruch auf die Hälfte der Nettovermögen, die sich im Zeitpunkt der Auflösung in den beiden Töpfen «Errungenschaft» befinden. Die Grundidee dahinter ist also, dass der gesamte während der Ehe angesparte Arbeitserwerb zwischen den Ehegatten hälftig geteilt wird, unabhängig davon, wer den Erwerb erwirtschaftete. Nicht hälftig geteilt werden jene Vermögenswerte, die jeder Ehegatte zum Zeitpunkt der Eheschliessung bereits besass, sowie auch sämtliche Vermögenswerte aus Erbschaften oder anderweitigen unentgeltlichen Zuwendungen, somit die Eigengüter. Es ist somit nicht korrekt, dass anlässlich der Scheidung sämtliches Vermögen hälftig geteilt wird.

Was die Gerichts-­ und Anwaltskosten betrifft, können die Schreibenden keine allgemeingültige Antwort geben. Scheidungsverfahren können – vor allem bei Uneinigkeit der Parteien – hohe Gerichts­- und Anwaltskosten auslösen. Die Gerichtsverfahren können sich dabei über mehrere Jahre und Gerichtsinstanzen hinziehen, was entsprechende Kosten für Gerichte und Anwälte mit sich bringt.

Sollten die Parteien jedoch mithilfe eines Rechtsanwalts ein gemeinsames Scheidungsbegehren mit der Regelung der Scheidungsfolgen ausarbeiten und dem Gericht einreichen, halten sich die Gerichts­- und Anwaltskosten in Grenzen. Ohnehin ist es jedoch ratsam, sich vorgängig anwaltlich beraten zu lassen, sei es als scheidungswilliges Ehepaar gemeinsam oder als Ehegatte alleine – dies, damit man Auskunft über die rechtliche Situation erhält.

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass nicht alle Scheidungsmythen der Wahrheit entsprechen. Nichtsdestotrotz steckt in jedem Mythos stets ein Funken Wahrheit.

Um im konkreten Fall den Überblick zu behalten und nicht falschen Gerüchten rund um das Eheschutz­- und Scheidungsverfahren zu verfallen, empfehlen wir daher, sich bereits vorgängig anwaltlich beraten zu lassen, um vor Gericht keine bösen Überraschungen zu erleben.

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