Internationale Gerichtszuständigkeit Internationales Forum Shopping im Wettbewerbsrecht
Gerichtsverfahren sind oft nicht zu vermeiden. Das Gericht am Heimatort ist dann dafür noch das geringere Übel: Es bestehen keine sprachlichen Barrieren, die Entfernung und damit der Zeitaufwand sind maßvoll, ein Anwalt leicht gefunden, die Verfahrensregeln bekannt oder leicht festzustellen. In Österreich und auch europaweit ist in der Regel der Wohnort oder Sitz des Beklagten für die internationale und örtliche Zuständigkeit der Gerichte ausschlaggebend. Manchmal kann man den Gerichtsstand aus mehreren zulässigen wählen („Forum Shopping“). Die Wahl muss aber rasch getroffen werden („Early bird”).
Sachverhalt
Vor kurzem hatte sich der OGH (2. 7. 2020, 4 Ob 74/20s, siehe www.ris.bka.gv.at ) mit zwei Mitbewerbern (Konkurrenten) in Deutschland und in Österreich, die Blutzuckermessgeräte vertreiben, zu befassen. Das österreichische Unternehmen war vom deutschen (anwaltlich) gemahnt und dazu aufgefordert worden, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Behauptet wurde, es habe durch irreführende Angaben auf einer Produktverpackung gegen das Wettbewerbsrecht (Lauterkeitsrecht) verstoßen.
Rasch brachte das österreichische Unternehmen eine Klage in Österreich an seinem Heimatort ein. Es wurde beantragt festzustellen, dass der behauptete Unterlassungsanspruch nicht besteht (negative Feststellungsklage). Von der Beklagten wurde die fehlende internationale und örtliche Zuständigkeit eingewendet, das Erstgericht wies die Klage auch tatsächlich zurück, zu Unrecht, wie letztlich der OGH bestätigte:
Im gegenständlichen vom OGH zu behandelnden Fall hatte der Gesellschafter einer GmbH einen Kredit zu privaten Konsumationszwecken aufgenommen und diesen über die Gesellschaft zurückbezahlen lassen. Die GmbH klagte den Gesellschafter auf Rückzahlung der für die Rückführung des Kredits aufgewendeten Geldmittel. Die beiden ersten Instanzen qualifizierten die Rückzahlung des Privatkredits durch die Gesellschaft als unzulässige Einlagenrückgewähr und gaben der Klage statt. Die Revision an den OGH wurde vom zweitinstanzlichen Gericht zugelassen, nachdem es zu einem vergleichbaren Sachverhalt bislang keine oberstgerichtliche Judikatur gab und daher eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorlag.
Entscheidung und deren Begründung
Nach der EuGVVO (Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung, sogenannte „BrüsseI Ia Verordnung“, Verordnung (EU) Nr. 1215/2012) können Klagen wegen unerlaubter Handlungen vor dem Gericht des Ortes eingebracht werden, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Entscheidend ist dieses Wahlrecht insbesondere bei Distanzdelikten (auch bei Internetdelikten), bei denen Erfolgs- und Handlungsort auseinanderfallen. Der Kläger kann den Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit wählen und wird in der Regel aufseinen Heimatort zurückgreifen.
Zur internationalen Gerichtszuständigkeit bei negativen Feststellungsklagen, mit dem Antrag festzustellen, dass keine Haftung aus einer unerlaubten Handlung besteht, hat der EuGH ausgesprochen (Urteil vom 25. 10. 2012, C-133/11, Folien Fischer AG), dass die Anwendbarkeit des Art 7 Nr 2 EuGVVO, trotz der Umkehr der im Deliktsrecht üblichen Parteirollen (im Falle einer negativen Feststellungsklage ist die Klägerin potenzieller Schuldner einer Forderung aus unerlaubter Handlung, die Beklagte potenziell Geschädigte) nicht ausgeschlossen ist. Das ist anhand der dem Sachverhalt zugrundeliegenden unerlaubten Handlung sowie dem Anknüpfungspunkt dieser Handlung zu überprüfen.
Wenn die Umstände, die bei einer negativen Feststellungsklage strittig sind, einen Anknüpfungspunkt an den Staat rechtfertigen, in dem sich das ursächliche Geschehen ereignet hat, der Schaden eingetreten ist oder einzutreten droht, so steht es der Klägerin frei, an welchem Ort sie klagt.
Auch der OGH hatte schon in seiner Entscheidung vom 22. 3. 2018, 4 Ob 55/18v (Gold Rentier ) ausgesprochen, dass es dem potenziellen Schuldner möglich sein muss, vor dem Gericht des Handlungs- oder des Erfolgsorts zu klagen, an dem auch der vermeintlich Geschädigte klagen könnte. Nach stRsp wird der Klägerin die gleiche Gerichtsstandwahl wie der Beklagten (und ursprünglich abmahnenden Partei) zugebilligt. Der örtliche Umfang der Abmahnung spielt hierfür keine Rolle.
Fazit
Wird jemand für angeblich wettbewerbswidriges Verhalten, vor allem bei Distanzdelikten/Internetdelikten, von einem ausländischen Konkurrenten (anwaltlich) gemahnt und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert, ist nicht nur zu prüfen, ob der Vorwurf zu Recht erhoben wird:
Besonders wenn das nicht der Fall wäre, muss dringend eine negative Feststellungsklage am Heimatort in Erwägung gezogen werden, um einer Klage im Ausland, am Sitz des Konkurrenten, zuvorzukommen. Denn ist ein Verfahren einmal bei einem zuständigen Gericht – auch wenn es fernab liegt – anhängig, steht einem weiteren Verfahren vor einem anderen – sonst vielleicht ebenfalls zuständigen – Gericht (internationale) Streitanhängigkeit entgegen.
Umgekehrt muss gut überlegt werden, ob vor einer Klage gegen einen ausländischen Konkurrenten überhaupt außergerichtlich gemahnt werden soll, weil auch er in diesem Fall die Gelegenheit zu einer negativen Feststellungklage an seinem Heimatort bekommt.