Praxisübernahme in zwei Stufen: 50‑%‑Einstieg, spätere Vollübernahme, Kaufpreisvarianten und die Schenkungsteuer-Falle
Der Einstieg einer Kollegin oder eines Kollegen in eine bestehende Arztpraxis ist ein großer Schritt – fachlich, wirtschaftlich und rechtlich. Häufig ist ein zweistufiges Modell gewünscht: Zunächst der Erwerb von 50 % der Einzelpraxis und die gemeinsame Fortführung der bisherigen Einzelpraxis in einer Berufsausübungsgemeinschaft in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BAG/GbR), um sodann später die weiteren 50 % der Praxis zu übernehmen.
Wichtig ist, die beiden Schritte vertraglich zu trennen: ein Kauf- und Übertragungsvertrag für den 50‑%‑Einstieg sowie ein eigenständiger Options- und Kaufrechtsvertrag für die spätere Komplettübernahme. So lässt sich der unmittelbare Einstieg klar von späteren Entscheidungen zur Übernahme der Praxis insgesamt abgrenzen. Zugleich bleiben die Bewertungs- und Finanzierungsparameter an die künftige Ertragslage anpassbar. In vielen Fällen können so Finanzierungshürden gesenkt und Partnerinteressen sauber austariert werden.
Zentral ist die passende Kaufpreisarchitektur für den ersten Erwerb der 50 %. Neben einem schlichten Festkaufpreis mit Einmalzahlung oder Raten lassen sich leistungsabhängige Komponenten vorsehen, etwa Earn‑outs, die an Umsatz- oder Gewinnkennzahlen der BAG anknüpfen. Rechtlich handelt es sich bei solchen Earn‑outs um aufschiebend bedingte Kaufpreisbestandteile; sie werden für die Verkäuferseite regelmäßig erst im Zeitpunkt des Zuflusses besteuert und nicht rückwirkend im Veräußerungsjahr zugerechnet. Das gilt auch für variable Kaufpreise, die an Rohmargen oder andere objektivierbare Parameter anknüpfen. Diese Linie ist höchstrichterlich bestätigt und dient in der Praxis dazu, Chancen und Risiken zwischen Alt- und Neupartner fair zu verteilen, ohne die steuerliche Abbildung zu verkomplizieren.
Neben Earn‑outs ist die Tilgung eines (Rest‑)Kaufpreises aus künftigen Gewinnanteilen der neuen Gesellschafterin oder des neuen Gesellschafters ein praxistauglicher Baustein. Dabei wird ein Teil des Gewinnbezugsrechts zugunsten der Veräußererseite abgetreten, bis der vereinbarte Betrag einschließlich Zinsen getilgt ist. Auch diese Gestaltung behandelt die Rechtsprechung als Kaufpreisleistung mit der Folge, dass die Versteuerung bei der Veräußererseite grundsätzlich im Zuflusszeitpunkt erfolgt. Für die Erwerberseite werden die Zahlungen als (nachträgliche) Anschaffungskosten in der Ergänzungsrechnung abgebildet. Damit ist das Modell sowohl liquiditätsschonend als auch rechtssicher – vorausgesetzt, die Abtretung und die Verrechnungsmechanik werden sauber dokumentiert.
Ein weiterer Baustein ist die Zahlung „in die Gesellschaft“ mit korrespondierender Auskehr an die Veräußerin. Die Käuferin zahlt den Kaufpreis ganz oder teilweise an das Gesamthandsvermögen der BAG; die BAG kehrt diesen Betrag zahlungsdienlich an die Verkäuferin aus. Zivil- und steuerrechtlich bleibt dies ein Kaufpreis zwischen den Parteien; bilanziell wird die Auskehr als Entnahme bei der Veräußerin und die Gesellschaftszahlung bei der Erwerberin als Anschaffungskosten ihrer Beteiligung behandelt. Die Technik hilft, Liquidität in der Einheit zu halten, etwa wenn zeitnah Investitionen anstehen, und muss mit dem BAG‑Gesellschaftsvertrag und der laufenden Rechnungslegung abgestimmt werden. In der Praxis wird sie oft mit einem Verkäuferdarlehen kombiniert, um den Übergang einfach und bankenschonend zu finanzieren.
Für die spätere Komplettübernahme empfiehlt sich eine echte Option, die frühestens nach einigen Jahren ausgeübt werden kann, ohne vorweggenommene Erwerbspflicht. So bleibt die zweite Stufe ein eigenständiger Vorgang, der zu den dann aktuellen wirtschaftlichen Gegebenheiten verhandelt wird. Ein steuerlich bedeutsamer »Gesamtplan« wird vermieden. Auch hier können wiederum Festpreis, Earn‑out‑Anteile, Tilgung über Gewinnabtritt oder eine Zahlung in die Gesellschaft kombiniert werden. Gerade in volatilen Leistungskontexten erlaubt diese Modularität, das Preis‑Risikoprofil an Realität und Planung anzupassen – mit der Sicherheit, dass variable Komponenten als aufschiebend bedingte Kaufpreisbestandteile gelten und im Zuflusszeitpunkt besteuert werden.
Häufig unterschätzt wird das steuerliche Risiko einer „zu günstigen“ oder gar unentgeltlichen Aufnahme der Kollegin in die Praxis. Jede freigebige Zuwendung unter Lebenden ist schenkungsteuerpflichtig, soweit der Begünstigte auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Das gilt ausdrücklich auch in gesellschaftsrechtlich geprägten Konstellationen; die Schenkungsteuer fragt nicht nach dem Etikett, sondern nach der wirtschaftlichen Bereicherung. Bei Beteiligungen an Personengesellschaften enthält das Gesetz sogar eine klare Wertvorgabe: Gesellschaftsvertragliche Beschränkungen, die nur den Buchwert vorsehen, bleiben für die Feststellung der Bereicherung außer Betracht; das „Mehr“ über dem Buchwert gilt als schenkungsteuerlich erfasst. Im Ergebnis entsteht Schenkungsteuer auf den unentgeltlichen oder unterpreisigen Teil, und zwar bereits mit Ausführung der Zuwendung. Für nicht verwandte Personen greifen nur geringe Freibeträge, was die wirtschaftliche Relevanz schnell erhöht.
Was bedeutet das für die konkrete Vertragsgestaltung? Erstens sollte der vereinbarte Preis für den 50‑%‑Einstieg fremdüblich hergeleitet werden. Für Arztpraxen ist das modifizierte Ertragswertverfahren praktikabel: Ausgangspunkt sind nachhaltig erzielbare Erträge nach Abzug eines angemessenen Unternehmerlohns; hinzu tritt der Substanzwert, während der nicht übertragbare personenbezogene Anteil des Erfolgs wertmindernd zu berücksichtigen ist. Der Goodwill umfasst dabei übertragbare immaterielle Faktoren wie Standort, Patientenstruktur, Organisation und Team. Eine nachvollziehbare Bewertung schafft Sicherheit gegenüber der Schenkungsteuer und ist Grundlage für die spätere Ergänzungsrechnung der Erwerberseite.
Zweitens sind variable Kaufpreisbausteine nicht nur ein Finanzierungsinstrument, sondern auch eine rechtssichere Alternative zur „freundschaftlichen Verbilligung“. Earn‑outs, die an Umsatz oder Ergebnis der BAG anknüpfen, werden als aufschiebend bedingte Kaufpreisbestandteile anerkannt und erst bei Zufluss besteuert; eine stichtagsbezogene Hinzurechnung zum Veräußerungsgewinn erfolgt gerade nicht. Gleiches gilt für Tilgungen über Gewinnabtritt: Sie sind eine Form der Kaufpreisleistung und unterliegen ebenfalls der Zuflussbesteuerung. Wer statt dessen „Gewinnverzichte“ ohne klare Kaufpreisqualifikation vereinbart, riskiert sowohl ertragsteuerliche Unschärfen als auch eine schenkungsteuerliche Requalifikation, weil der Eindruck einer unentgeltlichen Begünstigung entsteht.
Drittens lohnt es sich, die Liquiditätsmechanik vorausschauend zu planen. Eine Zahlung in das Gesellschaftsvermögen mit korrespondierender Auskehr an die Veräußerin kann Sinn machen, wenn die BAG kurz nach dem Einstieg investieren will oder Banken eine gewisse Eigenkapitalstärkung sehen möchten. Zivil- und steuerrechtlich bleibt es dabei beim Kaufpreis zwischen den Parteien; die BAG fungiert als Zahlungsvehikel. In der Dokumentation sollte diese Durchleitung klar benannt werden, damit keine Missverständnisse über verdeckte Einlagen, Entnahmen oder verdeckte Gegenleistungen entstehen. In Kombination mit einem Verkäuferdarlehen lässt sich der Einstieg so bankenunabhängiger und planbarer umsetzen.
Viertens: Für die spätere Vollübernahme schafft ein echter Optionsvertrag – ohne vorab bindende Erwerbspflicht – die gewünschte Trennung der Vorgänge. Die Ausübung zu einem späteren Stichtag, mit dann aktueller Bewertung und frei wählbaren Kaufpreisbausteinen, ist wirtschaftlich sinnvoll und rechtlich sauber. Wer im Optionsfall erneut Earn‑outs nutzen möchte, sollte die Parameter an die dann gelebte BAG‑Organisation anlehnen, insbesondere an die Ergebnisdefinition und die Entnahmepolitik des Gesellschaftsvertrags. So bleiben beide Stufen eigenständig und steuerlich folgerichtig.
Als Leitplanke gegen die Schenkungsteuer gilt: Keine unentgeltliche oder „auffällig verbilligte“ Aufnahme in die Praxis. Das ErbStG stellt auf die Bereicherung des Erwerbers ab; bei Personengesellschaften bleiben Buchwertklauseln für die Bereicherungsprüfung außer Betracht. Disquotale Gewinnbeteiligungen ohne passende Gegenleistung können als eigenständige Schenkung fingiert werden. Wer also bewusst unter Wert überträgt oder Gewinnrechte ohne Gegenleistung überproportional verteilt, läuft Gefahr, Schenkungsteuer auszulösen – mit Freibeträgen und Steuersätzen, die in Praxispartnerschaften unter Nichtverwandten schnell ins Gewicht fallen. Eine tragfähige Bewertung, klar als Kaufpreis qualifizierte Earn‑outs und Gewinnabtretungen sowie saubere Dokumentation schützen vor unangenehmen Überraschungen.
Aus anwaltlicher Sicht empfiehlt es sich, die Transaktion in zwei eigene Verträge zu fassen, die Kaufpreisbausteine modular und transparent auszugestalten und jede „verdeckte“ Gegenleistung zu vermeiden. Mit einem nachvollziehbaren Bewertungsansatz, sauberer Zuordnung der Zahlungen als Kaufpreis und einer stringenten Verzahnung mit dem BAG‑Gesellschaftsvertrag lassen sich die typischen ertrag- und schenkungsteuerlichen Fallstricke umgehen. Das Ergebnis sind rechtssichere Strukturen, die den Einstieg erleichtern, die gemeinsame Praxis stärken und Optionen für die Zukunft offenhalten.
Wer den nächsten Schritt plant oder bestehende Entwürfe prüfen lassen möchte, profitiert von einer frühzeitigen, interdisziplinären Abstimmung zwischen medizinrechtlicher, steuerlicher und betriebswirtschaftlicher Perspektive. So lassen sich Earn‑out‑Parameter, Gewinnabtritt, Zahlungen in die Gesellschaft, Verkäuferdarlehen und Bewertungsmodule aufeinander abstimmen – mit dem Ziel, dass die Transaktion im Finanzamt ebenso überzeugt wie im Praxisalltag. In komplexeren Strukturen, etwa mit MVZ‑ oder Holdingbezug, gilt dies umso mehr, da disquotale Effekte schenkungsteuerlich greifen können. Eine klare, dokumentierte Fremdüblichkeit ist hier der Schlüssel.
