Viele Kanzleien. Ein starkes Netzwerk.
Aktuelles
Neues aus Markt und Netzwerk
 

BGH VI ZR 108/21 zur Dokumentation bei Behandlungsfehlern Beweislast bei Arzthaftung

Behandlungsfehler unter der Geburt

Eine gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung verlangte Schadensersatz für ein bei ihr versichertes Kind, das aufgrund eines Behandlungsfehlers bei der Geburt eine schwere Hirnschädigung erlitt. Die Geburt wurde von einer Beleghebamme betreut, die auf pathologische CTG-Werte nicht rechtzeitig reagierte. Später griffen die Ärzte ein, doch das Kind erlitt irreparable Schäden.

Die Hebamme dokumentierte, dass sie die kritischen CTG-Werte bereits um 19:10 Uhr einem Arzt vorgelegt habe. Die Ärzte bestritten dies. Während das Landgericht die Klage gegen die Ärzte abwies, entschied das Oberlandesgericht Koblenz zugunsten der Klägerinnen. Die entscheidende Frage war, ob die Dokumentation der Hebamme eine Beweislastumkehr begründet.

Urteil des BGH

Der BGH hob das Urteil des OLG Koblenz auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Zentrale Aussagen:

1. Keine automatische Beweislastumkehr durch Dokumentation:

Dokumentationen haben eine Indizwirkung, begründen jedoch keine unwiderlegbare Vermutung für die Richtigkeit der Einträge.

Die Beweislast für einen Behandlungsfehler bleibt grundsätzlich beim Anspruchsteller (Patient oder Versicherung).

2. Zweifel an der Richtigkeit der Dokumentation:

Dokumentationen von Personen, die selbst in den Vorfall involviert sind, können kritisch hinterfragt werden.

Ärzte müssen nicht das Gegenteil beweisen, sondern es genügt, wenn berechtigte Zweifel bestehen.

3. Keine generelle Haftung von Belegärzten für Hebammenfehler:

Ärzte haften nur, wenn sie die Geburtsleitung tatsächlich übernommen haben.

Im vorliegenden Fall konnte nicht festgestellt werden, dass der Arzt die kritischen Werte rechtzeitig gesehen hatte.

Praxisbezug

  • Gerichte müssen Dokumentationen kritisch prüfen. Eine automatische Beweislastumkehr ist nicht gerechtfertigt.
  • Sorgfältige Dokumentation für Ärzte essenziell. Eigenständige und nachvollziehbare Dokumentationen schützen vor Haftungsrisiken.
  • Klare Verantwortung zwischen Hebammen und Ärzten. Zuständigkeiten sollten unmissverständlich geregelt sein.

Fazit

Das Urteil stärkt die freie Beweiswürdigung und verhindert, dass medizinische Dokumentationen als alleiniger Beweis für eine Haftung herangezogen werden. Für Ärzte und Hebammen bedeutet dies, dass eine präzise und transparente Dokumentation essenziell bleibt, um Haftungsrisiken zu minimieren.

Diesen Beitrag teilen

Alle Fachbeiträge zeigen

unterschrift-signatur-vertrag-notar
AGB, Verbraucherrecht, Vertragsrecht
22.12.2025

„Es gelten die online abrufbaren AGB“ unzureichend

BGH: Verweis auf im Internet abrufbare AGB in einem Vertragsangebot ist unklar und unwirksam

Beitrag lesen
M&A, Mergers & Acquisitions, Gesellschaftsrecht
22.12.2025

Einbeziehung der Weinstein-Garantie: Wie Unternehmen #MeToo-Risiken bei Fusionen und Übernahmen reduzieren können (NLD)

Bei der Gestaltung von Übernahmeverträgen ist es ratsam, auch an mögliche #MeToo-Risiken zu denken, die der Käufer eingeht, und diese durch eine sogenannte Weinstein-Klausel zu überwinden.

Beitrag lesen
Familienrecht
22.12.2025

Gemeinsames Sorgerecht trotz Auslandsaufenthalt – E-Mail reicht aus

Kann ein Elternteil sein Sorgerecht auch dann wirksam ausüben, wenn er im Ausland lebt und überwiegend per E-Mail erreichbar ist? Mit dieser praxisrelevanten Frage hatte sich das Oberlandesgericht Karlsruhe zu befassen. In seinem Beschluss vom 16. Oktober 2025 stellt das Gericht klar: Moderne Kommunikationsmittel können genügen, um die elterliche Sorge tatsächlich wahrzunehmen – ein Ruhen des Sorgerechts kommt nur bei echten, dauerhaften Ausübungshindernissen in Betracht

Beitrag lesen