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Insolvenzrecht Die Rechtsprechung des BGH zur Vorsatzanfechtung

Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zur Vorsatzanfechtung erhält eine neue Ausrichtung

…so schreibt es der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 06.05.2021.

Was wird neu ausgerichtet und hat es praktische Relevanz?

I.  Um zu wissen, was Neu ist, muss man zunächst die Kenntnis haben, was denn der Inhalt des Alten war, denn ansonsten wird der Unterschied nicht deutlich.

Die sogenannte Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO) war ein scharfes Schwert der Insolvenzverwalter und brachte für die vormaligen Vertragspartner der insolventen Unternehmen ein wirtschaftliches Risiko mit sich. Denn aus ihrer Sicht überraschend wurden sie nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, ihren (früheren) Vertragspartner betreffend, mit Rückforderungsansprüchen des Insolvenzverwalters konfrontiert.

Nach dem Wortlaut des Gesetzes waren die Voraussetzungen für eine derartige Vorsatzanfechtung hoch. Denn der Schuldner musste mit dem Vorsatz gehandelt haben, seine Gläubiger zu benachteiligen und sein Geschäftspartner (der spätere Anfechtungsgegner) musste zum Zeitpunkt dieser Handlung diesen Vorsatz des Schuldners gekannt haben.

Der Bundesgerichtshof hat in seiner früheren Rechtsprechung an diese – dem Wortlaut nach – hohen Voraussetzungshürden geringere inhaltliche Anforderungen gestellt. Denn ein Schuldner, der zum Zeitpunkt der Zahlung wusste, dass er zahlungsunfähig war, handelte mit diesem vorerwähnten Vorsatz und sein Vertragspartner, der diese Zahlungsunfähigkeit kannte, kannte auch diesen Vorsatz.

Damit war alleine der Tatumstand der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der erfolgten Zahlungen der relevante objektive Aspekt, den beide Seiten kennen mussten.

Spätestens über die Fälligkeiten der zur Insolvenztabelle angemeldeten und damit unbezahlt gebliebenen Forderungen der Gläubiger kann der Insolvenzverwalter den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit darlegen. Und wenn es dann Tatumstände, wie z.B. auflaufende Verbindlichkeiten, unregelmäßige Zahlungen, Mahnbescheide, Vollstreckungsdruck oder nicht eingehaltene Ratenzahlungen gibt, sind dies die Indizien, aufgrund derer die Kenntnis von dieser Zahlungsunfähigkeit auf der Seite des Vertragspartners (Anfechtungsgegners) vermutet wird.

II.  Zu dieser bisherigen Rechtsprechung führt der Bundesgerichtshof in seinem vorerwähnten Urteil nunmehr aus, dass sie sich nicht ohne Bruch in die Systematik der Anfechtungstatbestände einfüge. Denn der Umstand der Zahlungsunfähigkeit und die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auf der Gegenseite sind die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen sogenannter kongruenter Deckung nach § 131 InsO.

Diese Anfechtung ist aber nur drei Monate möglich und die Vorsatzanfechtung früher zehn Jahre und für Fälle des Zahlungs- und des Sicherheitenerhaltes nunmehr vier Jahre.

Es wurde durch diese bisherige Rechtsprechung des BGH also faktisch diese vorerwähnte Anfechtungssituation von drei Monaten auf vier Jahre verlängert.

Damit dies nicht mehr der Fall ist, bedarf es letztendlich zusätzlicher Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit auch über drei Monate hinaus eine Vorsatzanfechtung erfolgen kann.

III.  Diese neuen Voraussetzungen für eine Vorsatzanfechtung hat der Bundesgerichtshof nunmehr in seinem Urteil vom 06.05.2021 definiert. Sie lauten wie folgt:

Der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners setzt bei erkannter Zahlungsunfähigkeit zusätzlich voraus, dass der Schuldner im maßgeblichen Zeitpunkt wusste, oder jedenfalls billigend in Kauf nahm, seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigen zu können.

Diese zusätzliche Voraussetzung gibt es nunmehr auch bei der Kenntnis vom Gläubigerbenachteiligungsvorsatz auf der Gegenseite: Der Anfechtungsgegner muss zusätzlich wissen, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht wird befriedigen können.

Die mit dieser Rechtsprechung hinzugekommene und damit neue und weitere Voraussetzung für eine erfolgreiche Durchsetzung einer Vorsatzanfechtung ist demzufolge: Beide Seiten müssen wissen, dass die übrigen Gläubiger auch künftig nicht vollständig befriedigt werden können. Es kommt also nicht nur auf die Liquiditätslage zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung an sondern auch die zukünftige Situation.

IV.  Anhand welcher Darlegungen kann ein anfechtender Insolvenzverwalter nunmehr den Anfechtungsanspruch begründen?

1. Bezüglich Kenntnis des Schuldners

Es kommt also darauf an, ob der Schuldner wusste oder billigend in Kauf nahm, seine anderen Gläubiger auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht vollständig befriedigen zu können. Von Bedeutung hierfür ist laut dem vorerwähnten Urteil (Rz. 46):

  • Die Höhe der Deckungslücke zwischen dem liquiden Vermögen des Schuldners und seinen Verbindlichkeiten: Hatte die Deckungslücke ein Ausmaß erreicht, das selbst bei optimistischer Einschätzung der zukünftigen Entwicklung in absehbarer Zeit keine vollständige Befriedigung der Gläubiger erwarten ließ, musste dem Schuldner klar sein, dass er nicht einzelne Gläubiger befriedigen konnte, ohne andere zu benachteiligen;
  • und die Aussicht auf eine nachhaltige Beseitigung der gegenwärtigen Zahlungsunfähigkeit;
  • sowie der Zeitraum, der für diese Beseitigung der Deckungslücke zur Verfügung steht. Hier handelt der Schuldner mit Gläubigerbenachteiligungsvorsatz, wenn er einen Zeitraum in seine Überlegungen einbezieht, der ihm aufgrund des Verhaltens seiner übrigen Gläubiger (die z.B. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vornehmen) nicht mehr zur Verfügung steht.

2. Bezüglich Kenntnis des Anfechtungsgläubigers

Auch der Anfechtungsgegner muss dieses zusätzliche Wissen haben, dass zukünftig andere Gläubiger nicht befriedigt werden können. Als hierfür relevante Aspekte führt der Bundesgerichtshof aus:

  • Eine besonders aussagekräftige Grundlage für diese Überzeugung kann eine eigene Erklärung des Schuldners sein. Fehlt es an einer derartigen ausdrücklichen Erklärung, müssen andere Umstände ein entsprechendes Gewicht erreichen (die der Anfechtungsgegner kennen muss).
  • Alleine Zahlungsverzögerungen reichen dafür häufig nicht aus. Es müssen Umstände hinzutreten, wonach erkannt werden kann, dass die Zahlungsverzögerung auf der fehlenden Liquidität beruht.
  • Eine Zahlungseinstellung nur bezogen auf eine einzige Hauptforderung, die verhältnismäßig gering ist (im vorliegenden vom BGH zu entscheidenden Fall waren es 2.557,00 €) reiche als Grundlage nicht aus, denn eine derartige Deckungslücke könne erfahrungsgemäß im laufenden Geschäftsbetrieb ohne tiefgreifende Sanierungsbemühungen beseitigt werden.

V.  Soweit die Darlegungen des Bundesgerichtshofes zu der neuen Ausrichtung seiner Rechtsprechung.

Was bedeutet dies nunmehr für die Praxis

1.  Der anfechtende Insolvenzverwalter kann sich bei einer Vorsatzanfechtung nicht mehr nur auf eine Zahlungsunfähigkeit des insolventen Unternehmens zum Zeitpunkt der erfolgten Zahlungen berufen, sondern muss zudem darlegen, dass eine Deckungslücke auch zukünftig bestand – und hiervon beide Seiten Kenntnis hatten.

2.  Die Darstellung dieser Deckungslücke in der zukünftigen Liquidität wird in den meisten Fällen möglich sein und auch von dem Umstand, dass der Schuldner hiervon Kenntnis hatte, wird zumeist auszugehen sein. Denn letztendlich hilft dem Schuldner an dieser Stelle nicht jede Art der Hoffnung weiter, dass es einmal besser wird, sondern nur eine berechtigte Hoffnung – was dann oft nicht der Fall ist.

3.  Die relevante weitere Voraussetzung, die der Insolvenzverwalter darzulegen hat, ist das zusätzliche Wissen des Anfechtungsgegners, dass der Schuldner seine übrigen Gläubiger auch künftig nicht befriedigen wird und damit eine Kenntnis von der zukünftigen Liquiditätslage beim Anfechtungsgegner. Da es sich bei der Kenntnis um eine innere Tatsache handelt, wird diese nur über Indizien darzulegen sein.

An dieser Stelle wird das „Hochsetzen“ der Voraussetzungen für eine Vorsatzanfechtung den Gläubigern helfen, die mit ihrem nunmehr insolventen Vertragspartner nur einmalig oder in größeren Zeitabständen in einer vertraglichen Beziehung standen und/oder jeweils nur Forderungen in geringer Höhe hatten.

In diesen Fällen können sich die Anfechtungsgegner darauf zurückziehen, dass ihr Wissen über ihren Vertragspartner sich nur auf dessen Zahlungsverhalten ihnen gegenüber bezieht und wenn es alleine Rückstände in geringer Höhe gibt oder diese nur einmal auftreten, werden sie keine Kenntnis davon gehabt haben können, wie es um die zukünftige Liquidität bestellt war.

4.  Damit in der Quintessenz: Die große Änderung wird diese neue Rechtsprechung zur Vorsatzanfechtung in der praktischen Anwendung meines Erachtens nicht mit sich bringen. Es wird auf beiden Seiten mehr geschrieben werden müssen und in wenigen Fällen wird der Anspruch – entgegen der bisherigen Rechtslage – nicht durchsetzbar sein.

Beitrag veröffentlicht am
9. Juli 2021

Carsten Lange
DH&K Rechtsanwälte
Rechtsanwalt, Insolvenzverwalter, Mediator (DAA), Wirtschaftsmediator, Bankkaufmann

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