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Slowenisches Recht Ist das slowenische Gesetz über Arbeitsverhältnisse mit der Europäischen Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vereinbar? (SI)

Das Gesetz über Arbeitsverhältnisse legt eine Höchstzahl von Überstunden fest, die ein Arbeitnehmer leisten oder zu denen er sich bereit erklären kann. Aber ist eine solche nationale Regelung überhaupt mit den EU-Vorschriften vereinbar?

Seitdem das Arbeitsministerium die Einhaltung des Rechts auf angemessene Ruhezeiten durch die Arbeitgeber verstärkt kontrolliert, wurde in der Praxis mehrfach die Frage aufgeworfen, ob die nationalen Rechtsvorschriften über die Höchstzahl der Überstunden, denen ein Arbeitnehmer noch zustimmen kann, mit der europäischen Arbeitszeitregelung vereinbar sind. Besonders problematisch ist die gesetzliche Obergrenze von 20 Überstunden pro Monat. Die  Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung  („die Richtlinie“) sieht eine solche Grenze nämlich nicht ausdrücklich vor.

Es stellt sich zunächst die Frage,  ob nationale Begrenzungen, die strenger sind als die in der Richtlinie vorgesehenen, nicht in das Recht des Arbeitnehmers auf Freiheit der Arbeit und das Recht der Parteien, ihre vertraglichen Beziehungen frei zu regeln, eingreifen . Außerdem ist zu bedenken, dass nicht jede Arbeit gleichermaßen beschwerlich und gesundheitsgefährdend ist und dass sich die Arbeitsbedingungen seit der Verabschiedung der Richtlinie erheblich verändert haben.

Gemäß Artikel 144(3) des Gesetzes über Arbeitsverhältnisse („ZDR-1“) dürfen Überstunden maximal acht Stunden pro Woche, maximal 20 Stunden pro Monat und maximal 170 Stunden pro Jahr geleistet werden. Mit schriftlicher Zustimmung des Arbeitnehmers können Überstunden auch über die Jahresgrenze von 170 Stunden hinaus geleistet werden, dürfen aber insgesamt nicht mehr als 230 Stunden pro Jahr betragen (Artikel 144(4) ZDR-1). Unter Berücksichtigung des jährlichen Mindesturlaubs von vier Wochen und einer jährlichen (12-monatigen) Obergrenze von 230 Stunden ist diese jährliche Obergrenze an die monatliche Obergrenze angeglichen, so dass der Arbeitnehmer etwa 20 Überstunden pro Monat leisten darf.

In der Richtlinie werden die Überstundengrenzen jedoch anders festgelegt, da sie nicht ausdrücklich eine monatliche Obergrenze für Überstunden nennt, sondern nur eine (durchschnittliche) wöchentliche Höchstarbeitszeit und eine Mindestanzahl von Wochen des Jahresurlaubs festlegt. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten also, dafür zu sorgen, dass zum Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer die durchschnittliche Arbeitszeit für jeden Siebentageszeitraum einschließlich der Überstunden 48 Stunden nicht überschreitet. Gleichzeitig müssen sie sicherstellen, dass jeder Arbeitnehmer gemäß den in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten festgelegten Bedingungen für den Anspruch auf und die Gewährung von Jahresurlaub einen Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von mindestens vier Wochen hat.

Nach der Richtlinie kann die monatliche Höchstarbeitszeit daher nur indirekt berechnet werden, indem zunächst der obligatorische Mindestjahresurlaub von vier Wochen von den 52 Wochen des Jahres abgezogen wird. Aus den verbleibenden 48 Wochen errechnet die Richtlinie dann die Höchstzahl der Überstunden pro Woche, nämlich acht (die Richtlinie bezieht sich auf die Gesamtzahl der Wochenstunden, d. h. 48). Daraus folgt, dass  die Höchstzahl der Überstunden pro Jahr gemäß der Richtlinie 48 mal 8 Stunden beträgt, also durchschnittlich 32 Stunden pro Monat.

Die Regelung in dem ZDR-1 ist also restriktiver, da sie bereits die Höchstzahl der Überstunden pro Monat auf 20 begrenzt. Es stellt sich daher die Frage, ob die nationale Regelung mit der Richtlinie, die die maximale (durchschnittliche) Anzahl der Überstunden pro Monat auf ca. 32 (je nach Anzahl der Arbeitstage im Monat) begrenzt, unvereinbar ist. Dies könnte insbesondere unter dem Gesichtspunkt der freien Gestaltung der vertraglichen Beziehungen problematisch sein, wenn der Arbeitnehmer selbst mehr Überstunden als die gesetzlich zulässige Anzahl, nämlich zwischen 20 und 32 Überstunden pro Monat, leisten möchte. 

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union („EuGH“) stellt der einschlägige Artikel 6(b) der Richtlinie eine besonders wichtige Vorschrift des Sozialrechts der Europäischen Union dar, die zugunsten jedes Arbeitnehmers als Mindestanforderung zur Gewährleistung seiner Sicherheit und Gesundheit erlassen wurde. Diese Vorschrift verpflichtet die Mitgliedstaaten, für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit eine Obergrenze von 48 Stunden festzulegen, die ausdrücklich auch Überstunden einschließt und von der grundsätzlich nicht abgewichen werden kann, auch nicht mit Zustimmung des Arbeitnehmers.[1]

Aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH geht ferner hervor, dass Artikel 6(b) der Richtlinie unmittelbare Wirkung hat, d. h. dem Einzelnen Rechte verleiht, die unmittelbar vor den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können.[2] Der EuGH hat erklärt, dass Artikel 15 der Richtlinie im Allgemeinen die Anwendung oder Einführung von nationalen Bestimmungen zulässt, die für den Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeitnehmer günstiger sind. Es ist jedoch nur möglich, von bestimmten, abschließend aufgeführten Bestimmungen abzuweichen, die von den Mitgliedstaaten oder den Sozialpartnern festgelegt werden, wobei die Anwendung von Abweichungen von diesen Bestimmungen strengen Bedingungen, die einen wirksamen Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer gewährleisten, unterliegt. So erlaubt Artikel 22 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie den Mitgliedstaaten, Artikel 6 der Richtlinie nicht anzuwenden, sofern sie die allgemeinen Grundsätze des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer beachten und eine Reihe von Bedingungen erfüllen, die in dieser Bestimmung kumulativ aufgeführt sind.

Auf der Grundlage dieser Bedingungen stellt sich die Frage, ob die Arbeitnehmer, wenn sie mehr Überstunden leisten wollen, und folglich mit ihrer Zustimmung, mehr als acht Überstunden pro Woche leisten können, was ansonsten die allgemeine Begrenzung nach Artikel 6 der Richtlinie darstellt. Nach den Bestimmungen des ZDR-1 ist die Antwort ganz klar, und zwar, dass dies nicht möglich ist (mit Ausnahme der Arbeitnehmer, die ansonsten nicht der Überstundenbegrenzung unterliegen).

Außerdem stellt sich die Frage, ob die informierte Zustimmung des Arbeitnehmers Vorrang vor den nationalen Vorschriften und den Vorschriften der Richtlinie hat. Wenn die Richtlinie es einem Arbeitnehmer erlaubt, mit seiner Zustimmung mehr als acht Überstunden pro Woche zu leisten, dann sollten auch die nationalen Rechtsvorschriften, die im Wesentlichen zum Schutz seiner Sicherheit und Gesundheit erlassen wurden, ihm nicht verbieten, dies mit seiner ausdrücklichen Zustimmung zu tun. Auch hier ist die Antwort im slowenischen Arbeitsrecht eindeutig und die ZDR-1 erlaubt es dem Arbeitnehmer nicht, auf seine grundlegenden gesetzlichen Rechte (zu denen auch die Rechte auf Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gehören) zu verzichten.

In Anbetracht des Standpunkts des EuGH, dass alle Behörden der Mitgliedstaaten, einschließlich der Verwaltungsbehörden und nicht nur die Gerichte, verpflichtet sind, die Bestimmungen der EU-Richtlinien mit unmittelbarer Wirkung anzuwenden, insbesondere wenn sie mit den Bestimmungen des nationalen Rechts kollidieren,[3] wird es daher interessant sein zu sehen, ob die oben genannte europäische Verordnung auch von den slowenischen Kontrollbehörden unmittelbar angewendet werden wird. Insbesondere dann, wenn sie bei ihren Kontrollverfahren auf die Frage der Vereinbarkeit zwischen den nationalen und den europäischen Rechtsvorschriften über die zulässige Höchstzahl von Überstunden stoßen, die nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Arbeitnehmers geleistet werden dürfen.

[1] Vgl. das Urteil des EuGH in der Rechtssache Fuß, C-429/09 vom 25. November 2010, ECLI:EU:C:2010:717, Rn. 33.

[2] Ebd., Rn. 35.

[3] Vgl. das Urteil des EuGH in der Rechtssache Hein, Rs. C-385/17 vom 13. Dezember 2018, Rn. 49, und das Urteil des EuGH Kücükdeveci, C-555/07 vom 19. Januar 2010, Rn. 47.

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