Gesellschaftsrecht Stimmverbote bei Kapital- und Personengesellschaften
Im Gesellschaftsrecht sind die Interessen der Gesellschaft von den Interessen der Gesellschafter zu trennen. In Einzelfällen können diese Interessen unvereinbar gegenüberstehen, so dass die Rechtsordnung Lösungen für die Frage bereithalten muss, ob das Individualinteresse oder das Verbandsinteresse Vorrang genießt.
In besonderen, teilweise vom Gesetz und teilweise von der Rechtsprechung entwickelten Konstellationen, geht dieser Ausgleich so weit, dass einem Gesellschafter in der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung ein Stimmverbot auferlegt wird, um zu verhindern, dass der Gesellschafter „als Richter in eigener Sache“ auftritt.
Ein einheitliches Gesellschaftsrecht hierzu existiert nicht. Je Gesellschaftsform können derartige Stimmverbote andersartig ausgestaltet sein.
In der Beratungspraxis ist diesem Thema jedoch gemeinsam, dass Gesellschafter oder verantwortliche Organmitglieder bzw. Geschäftsführer von Gesellschaften dann über das Thema Stimmverbot nachdenken, wenn es um besondere Vorteile oder Vorteilsnahmen durch einzelne Gesellschafter geht, oder wenn aus anderen Gründen Streit zwischen den Akteuren aufzieht. In diesem Sinne handelt es sich bei dem Thema Stimmverbot auch um aktiven Minderheitenschutz, denn Minderheitsgesellschafter können ihre Interessen gegen den Mehrheitsgesellschafter dann durchsetzen, wenn Stimmverbote zur Anwendung kommen. Um die richtigen formalen und inhaltlichen Grenzen von Konstellationen, in denen ein Stimmverbot zur Anwendung kommt, einschätzen und vor allen Dingen durchsetzen zu können, ist die Beratung und gegebenenfalls Vertretung durch erfahrene Rechtsanwälte im Gesellschaftsrecht anzuraten.
A. STIMMVERBOTE IN KAPITALGESELLSCHAFTEN
1. GmbH
Das GmbHG bestimmt in seinem § 47 Abs. 4 gesetzlich vier Fälle einen Stimmverbots:
- Beschlussfassung über die Entlastung eines Gesellschafters
- Beschlussfassung über die Befreiung eines Gesellschafters von einer Verbindlichkeit
- Beschlussfassung über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber einem Gesellschafter
- Beschlussfassung über die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites gegenüber einem Gesellschafter
Im Rahmen von gesellschaftsrechtlichen Streitigkeiten zwischen Gesellschafter sind insbesondere die beiden letzten gesetzlichen Anwendungsfälle von Bedeutung, da in deren Anwendungsbereich auch die Beschlussfassung über die Prüfung von Haftungsansprüchen gegenüber Gesellschafter-Geschäftsführer, über die Einleitung von Sonderprüfungen oder über die Führung von gerichtlichen Haftungsprozessen fallen.
Über den Anwendungsbereich der gesetzlich definierten Fälle haben Rechtsprechung und Lehre eine Vielzahl weiterer Anwendungsfälle von Stimmverboten bejaht, die teilweise unter Bezugnahme auf Interessenlagen entwickelt wurden, die zu den gesetzlichen Anwendungsfällen vergleichbar sind, oder die teilweise auf die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gestützt wurden. Der Grundgedanke, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll, kommt in diesen weiteren Anwendungsfällen jeweils häufig, aber nicht ausschließlich zum Tragen. Insbesondere der Anwendungsbereich der gesellschaftlichen Treuepflicht geht in diesem Punkt darüber hinaus.
Als praktikable Faustformel lässt sich auf den Gedanken verweisen, dass, wenn über Maßnahme aus wichtigem Grund gegen Gesellschafter entscheiden werden soll, ein Stimmverbot Anwendung finden kann. Das bekannteste Beispiel ist die Abberufung des Gesellschafter-Geschäftsführers aus wichtigem Grund. Eine nur irgendwie geartete Interessenkollision reicht aber nicht aus. Es müssen sich um qualifizierte Sachverhalte handeln, die das Verbandsinteresse, also das Interesse der Gesellschaft, als überwiegende schutzwürdige erachten.
2. Unternehmergesellschaft/UG (haftungsbeschränkt)
Es gelten dieselben Grundsätze wie bei der GmbH.
3. Aktiengesellschaft
Vergleichbar zum GmbH-Recht hat der Gesetzgeber einen Katalog von Fällen in § 136 I AKtG definiert, in denen gesetzlich ein Stimmverbot gilt:
- Beschlussfassung über die Entlastung eines Aktionärs
- Beschlussfassung über die Befreiung eines Aktionärs von einer Verbindlichkeit
- Beschlussfassung über die Geltendmachung eines Anspruchs gegen einen Aktionär
Anders als im GmbH-Recht besteht ausdrücklich kein Stimmverbot, wenn der Beschlussgegenstand die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber einem Aktionär betrifft. Es handelt sich nicht um eine unbedachte Regelungslücke des Gesetzgebers, sondern um dessen bewusste Entscheidung, so dass das GmbH-Recht in diesem Punkt auch nicht entsprechend angewendet werden darf.
Wie im GmbH-Recht auch haben Rechtsprechung und Lehre im Wege der Einzelanalogie Stimmverbote zu Konstellationen entwickelt, die quantitativ und qualitativ vergleichbarer Interessenkonflikte darstellen. Auch in diesem Punkt ist die Beratung durch erfahrene Gesellschaftsrechtler unumgänglich.
Stimmverbote können auch bei Beschlussfassungen in Sitzungen des Aufsichtsrats Anwendung finden. Es finden sich neben etwaig anzuwendenden Satzungsbestimmungen rechtliche Grundlagen eines Stimmverbots in § 34 BGB analog und § 111b Abs. 2 AktG. Die wichtigsten Anwendungsfälle sind Abstimmungen über den Abschluss eines Rechtsgeschäftes zwischen der Gesellschaft und dem Aufsichtsratsmitglied, die Einleitung oder Erledigung von Rechtsstreitigkeiten der Gesellschaft gegenüber dem Aufsichtsratsmitglied sowie die Abberufung aus wichtigem Grund.
§ 34 BGB analog findet im Übrigen auch Anwendung auf einen Aufsichtsrat einer GmbH.
Selbst im faktischen Konzern sind diese vorstehenden Grundsätze zu beachten. So unterliegt der beherrschende Gesellschafter beispielsweise einem Stimmverbot in der Beschlussfassung bei der Tochtergesellschaft über die Geltendmachung von Haftungsansprüchen gegen den Vorstand der Tochtergesellschaft, wenn das vorgeworfenen Verhalten zu einer Begünstigung des beherrschenden Gesellschafters geführt hat.
4. SE – Societas Europaea –
Die primär einschlägigen Rechtsquellen zur Einführung und Regelung der supranationalen Europäischen Aktiengesellschaft, die unmittelbar geltende VO (EG) 2157/2001 sowie auf nationaler Ebene das Gesetz zur Ausführung der VO (EG) 2157/2001 (SEAG), enthalten keine dem § 136 AktG entsprechende Regelungen. Das Thema Stimmverbot von Aktionären wird in diesen Rechtsquellen zur SE nicht behandelt. Die SE ist nicht Aktiengesellschaft nach nationalem Recht, sondern das Recht der SE ist abzuleiten aus den für sie geltenden Vorschriften. Gleichwohl greift der EU-Verordnungsgeber auf das jeweilige nationale Recht zurück, das auf Aktiengesellschaft anzuwenden ist, um Fragestellungen zu lösen, die durch die SE-VO nicht gelöst sind (Art. 9 SE-VO).
Aus diesem Grunde ist § 136 AktG auch entsprechend auf relevante Fälle von Interessenkollisionen in Hauptversammlungen der SE anzuwenden. Darüber hinaus findet § 34 BGB analog Anwendung auf entsprechende Kollisionsfälle in Beschlussfassungen der Organe.
B. STIMMVERBOTE IN PERSONENGESELLSCHAFTEN
Die unterschiedlichen Rechtsquellen zum Personengesellschaftsrecht, §§ 705ff BGB für die bürgerliche Gesellschaft (GbR) und §§ 105ff HGB für die Handelsgesellschaften (oHG, KG), enthalten keine den §§ 47 IV GmbHG, 136 I AktG entsprechenden Vorschriften über Stimmverbote. Selbst das erstmalig ab dem 01.01.2024 in §§ 110ff HGB neuer Fassung durch das Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrecht (MoPeG) kodifizierte Beschlussanfechtungsrecht in Personengesellschaften schweigt sich darüber aus, wann nach materiell-rechtlichen Grundsätzen Stimmverbote vorliegen.
Anhaltspunkte für die Geltung von Stimmverboten und des diesen zugrunde liegenden Prinzips der Verhinderung des „Richtens in eigener Sache“ finden sich mittelbar in §§ 715 V, 720 IV BGB in der neuen Gesetzesfassung nach MoPeG sowie in § 43 VI GenG. Diese Grundsätze zur GbR finden entsprechend Anwendung bei der oHG und der KG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegt ein Gesellschafter einer GbR einem Stimmverbot bei Beschlüssen
- über seine Entlastung
- über die Einleitung von Rechtstreitigkeiten oder die außergerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen gegen ihn
- über die Befreiung von einer Verbindlichkeit.
Der BGH begründet dies ausdrücklich mit dem „allgemein“ geltenden Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sein darf (vgl. BGH, Urteil vom 17.01.2023 -II ZR 76/21, Tz. 25). Im Kern geht es also bei derartigen Beschlüssen um solche, die das Verhalten eines Gesellschafters billigen oder missbilligen. Das Vorliegen einer Interessenkollision als solcher ist nicht ausreichend. Die Grundsätze dieser BGH-Rechtsprechung lassen sich ohne Einschränkung auch auf Fälle übertragen, die Personenhandelsgesellschaften (OHG, KG) betreffen.
Offen gelassen hat der BGH in seiner Entscheidung ausdrücklich die Frage, ob ein Stimmverbot in entsprechende Anwendung des §§ 34 Fall 1 BGB, § 47 Abs. 4 Satz 1 Fall 1 GmbHG auch geltend soll, wenn über die Vornahme eines Rechtsgeschäfts mit einem Gesellschafter entschieden werden soll.
C. TRENNUNG VON TEILHABERECHT UND STIMMVERBOT
Sowohl bei Personengesellschaften als auch bei Kapitalgesellschaft ist zu beachten, dass das Stimmverbot nicht dazu führt, dass der betroffene Gesellschafter von der Willensbildung ausgeschlossen ist. Der Gesellschafter darf an den jeweiligen Gesellschafterversammlungen teilnehmen und seine inhaltlichen Auffassungen zu den jeweiligen Punkten vortragen. Er hat einen Anspruch darauf, gehört zu werden. Es darf nur nicht mit abstimmen. Seine Stimmabgabe ist in diesem Fall unbeachtlich.