Zweimal Grunderwerbsteuer bei Share Deals? Was der BFH zur Doppelbelastung bei Signing und Closing signalisiert
Bei vielen Share Deals – also dem Erwerb von Gesellschaftsanteilen an einer grundbesitzenden GmbH – fallen Vertragsschluss (Signing) und tatsächliche Anteilsübertragung (Closing) zeitlich auseinander. Genau in dieser Konstellation drohen aktuell zwei Grunderwerbsteuer-Festsetzungen durch das Finanzamt: einmal für den Gesellschafterwechsel nach § 1 Abs. 2b GrEStG (bezogen auf die tatsächliche Anteilsverschiebung) und einmal für das Verpflichtungsgeschäft nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG (bezogen auf den Vertragsschluss). Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem aktuellen Beschluss erhebliche rechtliche Zweifel angemeldet, ob eine solche Doppelbelastung zulässig ist – jedenfalls dann, wenn dem Finanzamt beim zweiten Bescheid bekannt ist, dass der jeweils andere Tatbestand bereits verwirklicht wurde. Die Entscheidung vom 09.07.2025 (II B 13/25) betrifft zwar ein Eilverfahren, setzt aber wichtige Signale für die Praxis.
Die Ausgangslage: Doppel-Festsetzung im konkreten Fall
Im entschiedenen Fall wurde der Kaufvertrag über alle Anteile an einer grundbesitzenden GmbH am 11.03.2024 beurkundet (Signing). Nach Kaufpreiszahlung erfolgte die Abtretung der Anteile am 29.03.2024 (Closing). Der Notar zeigte den Kaufvertrag am 04.04.2024 an; eine gesonderte Anzeige des Closings erfolgte nicht. Das Finanzamt erließ am 30.05.2024 zwei Steuerbescheide: gegenüber der GmbH wegen Gesellschafterwechsel nach § 1 Abs. 2b GrEStG und gegenüber der Erwerberin wegen Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG; beide Bescheide standen unter Vorbehalt der Nachprüfung und die Steuer wurde jeweils gezahlt. Die Erwerberin legte Einspruch ein und beantragte die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung, was Finanzamt und Finanzgericht zunächst ablehnten.
Was der BFH entschieden hat – und was nicht
Der BFH hob die Entscheidung des Finanzgerichts auf und ordnete die Aufhebung der Vollziehung des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids an. Das gilt bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens. Der Prüfungsmaßstab im Eilverfahren ist, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen; hierfür reicht bereits eine offene Rechtslage mit gewichtigen Gegenargumenten, ohne dass diese überwiegen müssen.
Genau solche Zweifel hat der BFH bejaht: Es sei rechtlich unklar, ob bei auseinanderfallendem Signing und Closing zweimal Grunderwerbsteuer festgesetzt werden darf, wenn dem Finanzamt bei der Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG bereits bekannt ist, dass das Closing erfolgt und damit der Tatbestand des § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht ist. Hintergrund ist unter anderem der Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG: Danach soll eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur stattfinden, „soweit“ eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG nicht in Betracht kommt – und diese Subsidiarität gilt nach dem Wortlaut für alle Varianten des § 1 Abs. 3, also auch für Nr. 1 (Verpflichtungsgeschäft). Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich zudem, dass der Gesetzgeber die Rangfolge der Ergänzungstatbestände materiell im Sinne der Subsidiarität ordnen wollte, ohne zeitliche Einschränkungen.
Verwaltungssicht vs. Gesetzeswortlaut
Die Finanzverwaltung vertritt bislang, dass der Vorrang des § 1 Abs. 2b GrEStG gegenüber § 1 Abs. 3 GrEStG nur bei zeitgleicher Verwirklichung greift; fallen die Zeitpunkte auseinander, sollen beide Tatbestände besteuert werden. Ein späterer „Doppeltatbestand“ sei dann über § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG zu korrigieren – allerdings nur bei vollständiger Erfüllung der Anzeigepflichten. Der BFH stellt diese Sicht erkennbar in Frage: Der Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG kenne gerade keine zeitliche Beschränkung der Subsidiarität. Und die Gesetzesbegründung zu § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG, die eine „zeitliche Konkurrenz“ und Korrektur über Anzeigepflichten beschreibt, findet in der Norm des § 1 Abs. 3 selbst keinen Niederschlag. Ob und wie § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG den materiellen Vorrang tatsächlich einschränkt, hält der BFH daher für zweifelhaft.
Rückenwind aus der Literatur
Teile der Literatur sehen einen generellen Anwendungsvorrang des § 1 Abs. 2b GrEStG, auch wenn Signing und Closing zeitlich auseinanderfallen, weil der Einleitungssatz des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht auf den Zeitpunkt abstellt. Teilweise wird zudem argumentiert, dass § 1 Abs. 3 erst dann „in Betracht“ kommt, wenn feststeht, dass der Vollzug nicht mehr eintreten kann. Andere Stimmen verstehen § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG primär als verfahrensrechtliche Erleichterung, nicht als Eingriff in den materiellen Vorrang. Diese Bandbreite an fundierter Kritik wertet der BFH als weiteres Indiz für ernstliche Zweifel.
Wesentliche Praxisbotschaft: Doppelbescheid ist kein Selbstläufer
Im konkreten Fall wusste das Finanzamt beim Erlass des Bescheids wegen § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG, dass das Closing bereits stattgefunden hatte und die Steuer nach § 1 Abs. 2b GrEStG ausgelöst war – trotzdem erließ es am selben Tag beide Bescheide unter Vorbehalt der Nachprüfung. Hier weist der BFH darauf hin, dass unabhängig von § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG eine Korrektur nach § 164 Abs. 2 AO möglich ist. § 16 GrEStG schließt andere Korrekturvorschriften nämlich nicht aus. Mit anderen Worten: In einer solchen Konstellation bedarf es nicht zwingend der (strengen) Korrekturvoraussetzungen des § 16 Abs. 4a GrEStG; der Weg über den Vorbehalt der Nachprüfung steht offen.
Was sollten Geschäftsleitung und Finanzverantwortliche jetzt tun?
- Vertragsstruktur und Zeitplan frühzeitig abstimmen: Wer Share Deals mit Signing/Closing-Trennung plant, sollte die grunderwerbsteuerlichen Auslöser sauber abbilden und dokumentieren.
- Anzeigen vollständig und fristgerecht: § 16 Abs. 4a GrEStG setzt für eine einfache Korrektur die vollständige Anzeige „in allen Teilen“ voraus. Versäumnisse können die Korrektur erschweren – und das Finanzamt auf die Doppelbesteuerungslinie setzen.
- Einspruch und AdV prüfen: Bei Doppelbescheiden lohnt sich die Anfechtung mit Antrag auf Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung. Der BFH erkennt ernstliche Zweifel an der Doppelbelastung, wenn dem Finanzamt der andere Auslöser bekannt war.
- Vorbehalt der Nachprüfung nutzen: Steht der Bescheid unter § 164 AO, kann auch darüber korrigiert werden – unabhängig von § 16 Abs. 4a, 5 GrEStG.
- Dokumentation gegenüber dem Finanzamt: Weisen Sie nach, was der Behörde bekannt war (z.B. Closing-Zeitpunkt), um die rechtliche Argumentation zu stärken.
Fazit
Der BFH setzt ein deutliches Stopp-Signal gegen die automatische Doppelbelastung mit Grunderwerbsteuer bei Share Deals mit getrenntem Signing und Closing. Entscheidend ist der materielle Vorrang des § 1 Abs. 2b GrEStG vor § 1 Abs. 3 GrEStG und die Frage, was dem Finanzamt bekannt war. Weil die Rechtsfrage im Hauptsacheverfahren noch offen ist, empfiehlt sich ein proaktives Vorgehen: Prozesse und Anzeigen sauber aufsetzen, Doppelbescheide zügig angreifen, AdV beantragen und – wo möglich – den Vorbehalt der Nachprüfung für Korrekturen nutzen. So lassen sich Liquiditätsbelastungen vermeiden und rechtliche Chancen wahren.