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Gesellschaftsrecht Niederlande Virtuelle Versammlungen: Von Illusion zur Wirklichkeit? (NLD)

Grundsätzlich ist es niederländischen juristischen Personen nicht erlaubt, Versammlungen komplett virtuell abzuhalten: sehr unpraktisch, wie sich in Zeiten von COVID-19 herausstellte. Der Gesetzgeber scheint dies jetzt doch ändern zu wollen. Das bringt uns zu dem Gesetzentwurf „Wet digitale algemene vergadering“ (Gesetz über digitale Gesellschafter- bzw. Hauptversammlungen).

Ausgangspunkt in den Niederlanden

Wir beschränken uns hier ausschließlich auf die niederländische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die sogenannte „besloten vennootschap“ ( „B.V.“ ).

Die Rechtsordnung geht von Gesellschafterversammlungen in Präsenz aus. Denn die Einberufung zur Versammlung muss unter anderem den Versammlungsort enthalten. Der Gesetzgeber wollte an der Präsenzversammlung festhalten, weil seiner Ansicht nach eine Präsenzversammlung mehrere Schutzmechanismen bietet und die Präsenzversammlung für die Funktionen der Gesellschafterversammlung sehr wichtig ist.

Gesetzliche Ausnahmen

Für Gesellschafter gibt es zwei Möglichkeiten, nicht persönlich zu einer Versammlung zu erscheinen.  Zunächst kann ein Gesellschafter eine Vollmacht erteilen, damit eine andere Person seine Rechte als Gesellschafter für ihn ausüben kann. Eine Vollmacht kann außerdem auf elektronischem Wege erteilt werden. 

Zweitens kann ein Gesellschafter auf elektronischem Wege an der Gesellschafterversammlung, einer sogenannten hybriden Versammlung, teilnehmen. Diese Möglichkeit gibt es, wenn die Satzung es zulässt und die Gesellschafter ihr Stimmrecht in der Versammlung ausüben können. Allerdings sind an hybride Versammlungen noch weitere Bedingungen geknüpft, wie die Tatsache, dass Gesellschafter identifizierbar sein müssen. 

Das vorübergehende Gesetz  Tijdelijke Wet COVID-19

Solange das vorübergehende Gesetz Tijdelijke Wet COVID-19 in Kraft war (bis zum 1. Februar 2023), gab es für Gesellschafterversammlungen verschiedene Möglichkeiten.

Gesetzentwurf

Der Gesetzentwurf ermöglicht es der B.V., von den heutigen technischen Möglichkeiten zu profitieren. Die Geschäftsführung der B.V. bekommt die Freiheit zu bestimmen, ob eine Versammlung gegebenenfalls virtuell stattfindet. Das sollte allerdings von den Gesellschaftern ausreichend unterstützt werden. 

In erster Linie werden Präsenzversammlungen weiterhin möglich sein. Virtuelle Versammlungen werden eine Möglichkeit sein, keine Pflicht. Die Gesellschaft entscheidet, welche Form verwendet werden soll. 

In dem Gesetzentwurf gelten die folgenden Bedingungen für virtuelle Versammlungen: 

Die Gesellschafterversammlung muss der Form der Versammlung im Allgemeinen zustimmen. Der Gesetzgeber sichert diesen Punkt durch eine verbindliche Regelung in der Satzung ab. Denn die Gesellschafter sind befugt, eine Satzungsänderung zu beschließen. Demnach ist also eine satzungsgemäße Grundlage erforderlich. Was die Regelung in der Satzung angeht: Der Gesellschaft wird große Freiheit in Bezug auf diese satzungsgemäßen Regelungen eingeräumt. Denkbar ist beispielsweise, dass die Gesellschafter immer erst zustimmen müssen, bevor eine virtuelle Versammlung abgehalten wird. Es könnte aber auch festgelegt werden, dass diese Befugnis der Geschäftsführung zusteht. Der Gesetzentwurf lässt den Gesellschaften dabei großen Spielraum. 

Eine der Hauptprämissen des Gesetzentwurfs ist, dass eine virtuelle Versammlung einer „normalen“ Präsenzversammlung so weit wie möglich ähneln sollte. Dies bedeutet, dass die Gesellschafter die Möglichkeit haben müssen, teilzunehmen, das Wort zu ergreifen, die erforderlichen Unterlagen zu erhalten und auch abzustimmen. Es muss also ein bidirektionales audiovisuelles Kommunikationsmittel nach dem Ermessen der Gesellschaft vorhanden sein (z.B. Teams).

Der Gesetzentwurf sieht außerdem vor, dass die Gesellschafter während der gesamten virtuellen Versammlung „live“ abstimmen können. Die Satzung kann dann die Art und Weise regeln, wie die Abstimmung in der virtuellen Versammlung erfolgt. Die Einberufung einer vollständig virtuellen oder hybriden Gesellschafterversammlung muss das Verfahren für die digitale Teilnahme an der Gesellschafterversammlung und die digitale Ausübung der Stimmrechte enthalten. Dies gilt zusätzlich zu der Verpflichtung, in der Einberufung der Versammlung auf etwaige satzungsgemäße Auflagen für elektronische Kommunikationsmittel hinzuweisen. Damit ist sichergestellt, dass die Gesellschafter wissen, welche (verfahrensmäßigen und technischen) Bedingungen für die Teilnahme an der virtuellen Versammlung und die digitale Stimmabgabe gelten.

Eine weitere Voraussetzung ist, dass das Mitglied oder der Gesellschafter, das bzw. der digital an der Versammlung teilnimmt, über die elektronischen Kommunikationsmittel identifiziert werden kann. Das Gesetz stellt keine weiteren Anforderungen an die Art und Weise der Identifizierung des Gesellschafters bei der Gesellschafterversammlung, sondern überlässt dies der Praxis. Auch werden keine Anforderungen an die Art der Identifizierung von Gesellschaftern gestellt, die digital an einer Versammlung teilnehmen. Das Gesetz lässt der Praxis Raum, zu diesem Zweck (technische) Lösungen einzusetzen. Die Identifizierungsmethode kann z.B. in einer Verordnung festgelegt werden.

Digitale Einberufung einer Versammlung

Der Gesetzgeber möchte nicht nur für die Versammlung selbst, sondern auch für die Einberufung der Versammlung Regelungen treffen. Nach dem derzeitigen System können juristische Personen die Versammlung auf elektronischem Wege einberufen, sofern die Satzung nichts anderes vorsieht. Auch die Gesellschafter müssen dieser digitalen Einberufung zustimmen. Der Gesetzgeber möchte diese derzeitigen Anforderungen vereinfachen und modernisieren, d.h. das Erfordernis der Zustimmung der Gesellschafter wird im Gesetzentwurf gestrichen. Inhalt und Bedingungen für die Einberufung ändern sich bei einer digitalen Einberufung nicht gegenüber der derzeitigen Regelung.

Technische Mängel

Bei der digitalen Teilnahme an der Versammlung besteht immer das Risiko, dass die Verbindung abbricht oder teilweise oder ganz verloren geht. Infolgedessen könnte die zur Teilnahme an der Versammlung berechtigte Person nicht optimal teilnehmen. Entscheidet man sich für eine vollständig virtuelle Sitzung, so ist die juristische Person verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass die Verbindung unterbrochen wird oder verloren geht. Nach geltendem Recht ist dies auch bei einer hybriden Versammlung der Fall. Die juristische Person muss also nicht nur über eine gute Internetverbindung verfügen, sondern auch über eine geeignete Software für das Abhalten einer solchen Versammlung. Die weitere Ausgestaltung etwaiger technischer Mängel könnte in einer ergänzenden Verordnung geregelt werden. Das Risiko für einen technischen Defekt trägt letztlich der Gesellschafter.

Wie geht es weiter?

Der Gesetzentwurf ist noch nicht eingeführt. Nach der öffentlichen Anhörung wird der Gesetzentwurf – vermutlich – geändert oder dem Parlament vorgelegt werden. Sobald mehr über die Fortschritte bei oder die Funktion dieses Gesetzes bekannt ist, werden wir natürlich darüber berichten. 

Da das Gesetz noch nicht in Kraft getreten ist, wird es einen Zeitraum geben, in dem das vorübergehende Gesetz  Tijdelijke Wet COVID-19  nicht länger in Kraft ist und vollständig virtuelle Versammlungen deshalb nicht möglich sind.

Auch wenn der Gesetzentwurf noch nicht endgültig ist, können Sie schon jetzt darüber nachdenken, ob eine virtuelle Versammlung für Ihr Unternehmen wünschenswert ist und wie Sie dies in Ihrer Satzung verankern können. 

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