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Internationales Zivilverfahrensrecht Wechsel des Gerichtsstandes durch Umzug des Vertragspartners ins Ausland nach Vertragsschluss

Nicht unwesentlich für die Risikoeinschätzung bei Abschluss eines Vertrages, vor allem mit Vorleistungspflicht, ist, welchem Recht der Vertrag unterliegt und wo im Falle eines Streites der Gerichtsstand belegen wäre.

Gerade in unserer Grenzregion, dem Dreiländereck zwischen Deutschland, Belgien und den Niederlanden, ist es nicht allzu selten, dass der ursprünglich in Deutschland ansässige Vertragspartner über die Grenze ins Ausland zieht. Wird der Vertrag dann notleidend und muss der Vertragspartner gerichtlich in Anspruch genommen werden, kann es daher vorkommen, dass der Anspruch vor einem ausländischen Gericht verfolgt werden muss. Dies ist naturgemäß, bereits wegen der Sprachbarrieren, mühsamer als eine Klage vor einem heimischen Gericht.

Kann man sich davor schützen, und wenn ja, wie?

Der beste Schutz gegen einen Wechsel des Gerichtsstandes ist der Abschluss einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung. Allerdings gibt es hierfür im deutschen Recht enge Grenzen. § 38 ZPO erlaubt grundsätzlich eine Gerichtsstandsvereinbarung nur dann, wenn die Vertragsparteien Kaufleute, juristische Person des öffentlichen Rechts oder öffentlich-rechtliche Sondervermögen sind. Gerichtsstandsvereinbarung mit nicht kaufmännisch organisierten Unternehmern und Freiberuflern, insbesondere aber gegenüber Verbrauchern sind im deutschen Recht unzulässig. Eine Ausnahme hiervon macht § 38 Abs. 2 ZPO, wonach eine Gerichtsstandsvereinbarung auch gegenüber Personen zulässig ist, wenn diese ihren Gerichtsstand nicht im Inland haben.

Allerdings erfasst diese Ausnahme nicht den hier interessierenden Fall, dass der Vertragspartner seinen Wohn- oder Geschäftssitz erst nach Vertragsschluss ins Ausland verlegt. Abhilfe schafft § 38 Abs. 3 Nummer 2 ZPO, der den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung, die für den Fall geschlossen wird, dass die im Klageweg in Anspruch zu nehmende Partei nach Vertragsschluss ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in das Ausland verlegt, erlaubt.

Problematisch ist jedoch, dass § 38 Abs. 3 Nummer 2 ZPO gar nicht mehr anwendbar ist, wenn der Vertragspartner zum Zeitpunkt der Klageerhebung seinen Sitz im Ausland hat. In diesem Fall ist der Anwendungsbereich der Brüssel I a-Verordnung eröffnet, der die Vorschriften der ZPO aufgrund des Vorrangs des europäischen Sekundärrechts vor dem nationalen Recht verdrängt.

Gemäß der Brüssel I a-Verordnung kann die Klage gegen den Vertragspartner entweder an dessen (Wohn-) Sitz (Art. 4 Brüssel I a-Verordnung) oder am Erfüllungsort (Art. 7 Brüssel I a-Verordnung) geführt werden. Bei Kaufverträgen ist der Erfüllungsort der Ort, wohin die Kaufsache tatsächlich geliefert wurde, bei Dienst- und Werkverträgen, der Ort, an dem die Leistung erbracht wurde. Erfolgte die Lieferung daher noch an den ehemaligen Wohn- oder Geschäftssitz des Vertragspartners in Deutschland, kann über Art. 7 Brüssel I a-Verordnung in Deutschland Klage geführt werden. Dies hilft aber dann nicht, wenn dem Vertragspartner mit Wohnsitz in Deutschland ein hochwertiger Kaminofen z.B. zu seinem Ferienhaus in den Ardennen oder dem Unternehmer mit Geschäftssitz in Deutschland Baumaterialien an die Baustelle in Maastricht geliefert wurden.

Außerdem gibt es Fallkonstellationen, bei denen selbst die Belegenheit des Lieferortes in Deutschland keine Abhilfe schafft, nämlich dann, wenn ein Verbrauchergeschäft im Sinne der Art. 17-19 Brüssel I a-Verordnung vorliegt.

Anders als im nationalen Recht, wo es für das Vorliegen eines Verbrauchergeschäft ausreicht, dass ein Unternehmer (§ 14 BGB) mit einem Verbraucher (§ 13 BGB) kontrahiert hat, liegt ein Verbrauchergeschäft im Sinne der Brüssel I a-Verordnung erst dann vor, wenn zwar die vorgenannten Voraussetzungen erfüllt sind, jedoch noch hinzutritt, dass es sich um ein Ratenzahlungsgeschäft handelt oder der Unternehmer seine Tätigkeit in dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers erbringt oder seine Tätigkeit hierauf ausrichtet.

Voraussetzungen für die Ausrichtung

Ob diese Voraussetzung der Ausrichtung im Einzelfall tatbestandlich vorliegt, richtet sich nach objektiven Kriterien. Diese hat der Europäische Gerichtshof in den Entscheidungen Pammer und Alpenhof (EuGH, 7.12.2010, Rs. C-585/08 und C-144/09) definiert. Indizien für das Ausrichten sind danach z.B. die Verwendung einer anderen als der Sprache am Sitz des Unternehmers, insbesondere die im Wohnsitzstaat des Verbrauchers gesprochene Sprache, die Verwendung internationaler Vorwahlen oder einer internationalen top-Level-Domain wie „.com“ oder „.eu“, Anfahrtsbeschreibungen aus dem Ausland oder der Ausweis von Lieferkonditionen für das Wohnsitzland des Verbrauchers. Dabei gilt jedoch im Hinblick auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Mühlleitner (EuGH, 6.9.2012 – C‑190/11), dass es für das Vorliegen eines Verbrauchergeschäfts nicht darauf ankommt, dass das Geschäft im Fernabsatz zustande gekommen ist. In der Rechtssache Emrek (EuGH, 17.10.2013 – C‑218/12) entschied der EuGH, dass es für die Annahme eines Verbrauchergeschäft nicht einmal notwendig ist, dass die Website oder ein im Ausland geschaltete Werbung dem Vertragspartner überhaupt bekannt und insoweit kausal für den Vertragsschluss waren. Daher ist ein Verbrauchergeschäft auch dann zu bejahen, wenn nur die objektiven Kriterien für die Ausrichtung vorliegen. In der Entscheidung Emrek zum Beispiel erwarb der in Saarbrücken wohnhafte Käufer in Frankreich einen gebrauchten Pkw, den ihm ein Bekannter empfohlen hatte. Er hatte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages gar keine Kenntnis davon, dass der Verkäufer seine Tätigkeit durch Internetwerbung auf Deutschland ausrichtete. Gleichwohl bejahte der Europäische Gerichtshof das Vorliegen eines Verbrauchergeschäfts, sodass der Käufer den Verkäufer an seinem Heimatgerichtsstand in Anspruch nehmen konnte. Umgekehrt hätte der Verkäufer den Kaufpreisanspruch, wäre er noch nicht erfüllt worden, ebenfalls an dem Heimatgericht des Käufers einklagen müssen.

Der Bundesgerichtshof hatte allerdings Zweifel, ob dies auch dann gilt, wenn zwar ein objektives Ausrichten der Tätigkeit des Unternehmers auf den anderen Staat vorliegt, jedoch der Verbraucher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses seinen Wohnsitz noch in Deutschland hatte und insoweit ein reiner Inlandssachverhalt gegeben war (BGH, Beschluss vom 12.5.2020 – XI ZR 371/18). Mit seiner Entscheidung vom 30.9.2021 in der Rechtssache C-296/20 stellte der EuGH jedoch ausdrücklich klar, dass sich die Zuständigkeit des Gerichtes auch in einem solchen Fall aus der Brüssel I a-Verordnung (bzw. in dem zu entscheidenden Fall nach dem revidierten Luganer Abkommen, das die Entsprechung der Brüssel I a-Verordnung im Verhältnis zu den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums darstellt) ergibt, auch wenn der Auslandsbezug erst nach dem Vertragsschluss eingetreten ist. Das ist in der Folge der Entscheidungen Mühlleitner und Emrek auch konsequent, weil der EuGH ausschließlich auf objektive Kriterien abstellt und nicht auf die Kausalität für das Zustandekommen des Verbrauchervertrages.

Auswirkungen auf den Gerichtsstand

Wenn diese Voraussetzungen des Verbrauchergeschäfte im Sinne der Brüssel I a-Verordnung vorliegen, bestimmt Art. 18, dass der Verbraucher die Klage gegen den Unternehmer an seinem Heimatgericht führen kann und eine Klage gegen den Verbraucher ausschließlich an dessen Wohnsitz geführt werden muss. Daher scheidet bei einem Verbrauchergeschäft eine Klage des Unternehmers am Erfüllungsort aus.

Allerdings lässt Art. 19 Abs. 3 Brüssel I a-Verordnung hiervon eine Ausnahme zu. Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist dann nämlich zulässig, wenn sie zwischen einem Verbraucher und seinem Vertragspartner, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Mitgliedstaat haben, getroffen wurde und die Zuständigkeit der Gerichte dieses Mitgliedstaats begründet, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats nicht zulässig ist. Da das deutsche Recht über § 38 Abs. 3 Nummer 2 ZPO eine Gerichtsstandsvereinbarung in einem solchen Fall als zulässig betrachtet, ist eine solche gemäß Art. 19 Abs. 3 Brüssel I a-Verordnung wirksam.

Allerdings gilt zu beachten, dass die Gerichtsstandsvereinbarung die Schriftform voraussetzt. Dies gilt übrigens bei Auslandsbezug in allen Fällen, d. h. gemäß Art. 25 Brüssel Ia-Verordnung selbst bei Verträgen zwischen Unternehmern, was leider meistens nicht beachtet wird. Ein Hinweis auf AGB reicht regelmäßig nicht aus. Auch ist darauf zu achten, dass bei Vorliegen eines Verbrauchergeschäfts der hier diskutierte Ausnahmefall des Wegzugs nach Vertragsschluss vom Wortlaut der Gerichtsstandsklausel erfasst wird. Denn eine Klausel, wonach ein Gerichtsstand jedenfalls dann vereinbart ist, wenn der Verbraucher seinen Wohnsitz zum Zeitpunkt des Entstehens der Streitigkeit im Ausland hat, würde bei Vorliegen eines Verbrauchergeschäfts zu kurz springen und sowohl an § 38 Abs. 1 ZPO wie auch Art. 18, 19 Abs. 1 Brüssel I a-Verordnung scheitern.

Beitrag veröffentlicht am
8. November 2021

Guido Imfeld
DH&K Rechtsanwälte
Rechtsanwalt, Wirtschaftsmediator, Avocat

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