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Internationales Erbrecht EU-Erbrechtsverordnung Nr. 650/2012: verweigerte Zuständigkeiten bei Tod in Pflegeheimen im EU-Ausland

Die EuErbVO Nr. 650/2012 gilt schon seit acht Jahren (sie ist auf alle Todesfälle ab 17. August 2015 in der EU außer in Dänemark und Irland anwendbar), aber beim Heimgang von Personen, die wegen der Pflege im Alter in einen anderen EU-Staat gezogen waren, gibt es immer wieder Fälle, in denen sich kein Gericht zuständig erklärt, das Erbverfahren durchzuführen. Der EuGH hat die Frage des „gewöhnlichen Aufenthalts“ (tsch.: „obvyklý pobyt“; angl.: „habitual residence“) gemäß Art. 4 der EuErbVO schon in einigen Fällen entschieden, aber nicht eindeutig.

Seit einigen Jahren haben sich Pflegeheime in grenznahen Seniorenresidenzen im Grenzbereich von Ungarn (zu Österreich) und der Tschechischen Republik und Polen (zu Deutschland) auf die Pflege von älteren Personen spezialisiert – z.B. von Alzheimerpatienten; dies wird etwas salopp als „intraeuropäischer Demenztourismus“ bezeichnet. Deutsche Rentner ziehen auch gerne nach Spanien und Portugal (einschließlich der Mittelmeer- und Atlantikinseln); diese Länder sind beliebte Residenzen von EU-Rentnern aus nördlichen EU-Ländern geworden.

Wenn es aber zu einem Todesfall kommt und der Erblasser zu Lebzeiten kein Testament errichtet hat, in dem er eine Rechtswahl bewirkt und ggf. geregelt hat, welche gerichtliche Zuständigkeit er für seinen Nachlass bestimmt, sind gemäß Art. 4 der EuErbVO die Gerichte desjenigen EU-Mitgliedslandes zuständig, in dem der Erblasser seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ gehabt hat, und dies bedeutet in der Regel auch, dass das Erbrecht dieses EU-Mitgliedstaates auf diesen Erbfall anzuwenden ist (Art. 21 der EuErbVO). Im deutschen Recht gibt es die gleiche Anknüpfung in § 343 Abs. 1 FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) – dazu erst unlängst das OLG München, Beschluss vom 09.02.2023, 33 UH 4/23e zu einem Fall innerhalb von Bayern.

Wenn der Erblasser bewusst nach Spanien, Portugal oder Polen gezogen ist, dann ist in der Regel der gewöhnliche Aufenthalt in diesen Ländern gegeben. Denn der EuGH (Fälle Oberle, E.E., Registru centras und Kubicka) hat den gewöhnlichen Aufenthalt so ausgelegt, dass dieser dort gegeben ist, wo der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes die engsten Beziehungen hatte. Aber die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“, der in den Erwägungsgründen Nr. 23 und 24 der Verordnung Nr. 650/2012/EU etwas erklärt ist, ist durch den EuGH in den bisher entschiedenen Fällen nicht eindeutig. Und die entscheidende Bestimmung des Art. 4 der EuErbVO definiert diesen Begriff nicht, auch nicht die deutsche Bestimmung § 343 Abs. 1 FamFG.

Was passiert – und welches Recht gilt und welche Gerichte sind zuständig – , wenn der Erblasser die Entscheidung über seinen Umzug gar nicht mehr bewusst getroffen hat, weil er damals schon dement war, sondern seine Angehörigen den Erblasser zu dessen Lebzeiten in ein Seniorenwohnheim z.B. nach Polen, Ungarn oder in die Tschechische Republik verbracht haben, wo er einige Jahre vor seinem Ableben gepflegt wurde? Ist dann sein „gewöhnlicher Aufenthalt“ gemäß Art. 4 der EuErbVO in diesem anderen EU-Land gegeben (z.B. Ungarn, der Tschechischen Republik oder Polen), oder noch in Deutschland, wo z.B. seine Angehörigen wohnen, wo er Bankkonten und Grundbesitz hat? Diese Frage sind nicht akademisch, denn zum einen sind bei einem gewöhnlichen Aufenthalt am Todesort die Gerichte oder Notare dieser Länder für das Erbverfahren zuständig, d.h. ungarische, tschechische oder polnische Notare. Diese entscheiden auch über das Vermögen in Deutschland, und zweitens gilt das Erbrecht dieser „neuen“ Länder.

Letzteres kann nicht unerheblich sprachliche Hürden darstellen, und vor allem: es gilt für den Erbfall das Recht von Ungarn, der Tschechischen Republik oder Polen. Und hier gibt es z.B. für das Pflichtteilsrecht, das Recht der Erben der ersten Ordnung (Ehegatte und Kinder) und der Enterbung einige Unterschiede zum deutschen Recht. Zu Lebzeiten empfiehlt es sich, ein Testament zu errichten, aber bei einem Erbfall ist dies zu spät.

In einigen Fällen hat sich sogar die Situation ergeben, dass sich weder das Gericht am Ort des Ablebens (Tschechische Republik), noch das in Deutschland, woher der Erblasser stammte, für zuständig hält. Juristisch wird dies als „negativer Kompetenzkonflikt“ bezeichnet – ein juristisch sehr reizvolles Problem. Aber für die Erben ist dies ein Alptraum, da damit der Nachlass blockiert ist, weil kein Gericht in der EU über ihn entscheidet und keine verbindliche Verweisung innerhalb der EU existiert (siehe dazu Art. 17 der EuErbVO, der allerdings nur die Situation, wenn sich zwei Gerichte innerhalb der EU zuständig erklären, aber nicht die Situation regelt, dass sich kein Gericht zuständig erklärt). Die zweite Situation kann nur durch Rechtsmittel in beiden Ländern gelöst werden. Unserer Meinung gilt als Grundregel, dass der Todesort auch der gewöhnliche Aufenthalt war, wenn der Tod dort eintrat, wo auch der Erblasser die letzten Jahre faktisch gelebt hat (d.h. nicht bei einer einmaligen Urlaubsreise oder einem kurzfristigen Arztbesuch an den Todesort).

Wenn der Erbfall noch nicht eingetreten ist, sollte der Erblasser unbedingt noch ein Testament errichten, wenn er dies noch kann. Wenn der Erblasser schon dement ist oder der Erbfall schon eingetreten ist, dann empfiehlt sich ein rascher Kontakt mit dem nach der EuErbVO zuständigem Gericht über einen kompetenten Anwalt in diesem Land.

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