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Datenschutz Neues vom EuGH zur Vorratsdatenspeicherung - Auswirkungen auf die Privatwirtschaft?

Der Europäische Gerichtshof hat seine ständige Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung in eine Linie mit den Urteilen vom 08.04.2014 ( C-293/12 ), 21.12.2016 ( C-203/15 & C-698/15 ), 06.10.2020 ( C-623/17, C-511/18, C-512/18 & C-520/18 ) sowie vom 02.03.2021 ( C-746/18 ) gebracht.

Mit Urteil vom 05.04.2022 ( C-140/20 ) hat der EuGH abermals bekräftigt und nochmals unmissverständlich klargestellt, dass nationale Rechtsvorschriften gegen Unionsrecht verstoßen und somit unzulässig sind, die präventiv eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten zur Bekämpfung schwerer Straftaten vorsehen.

Beweismittel aus gespeicherten Vorratsdaten

Hintergrund dieser Entscheidung war die Verurteilung eines Iren zur lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes an einer Frau, bei der eben solche Verkehrs- und Standortdaten im Zusammenhang mit Telefonanrufen als Beweismittel durch das erstinstanzliche Gericht zugelassen wurden und den Angeklagten der Tat überführt haben. Hiergegen wehrte sich der Verurteilte vor dem High Court mit Erfolg, wobei Irland gegen diese Entscheidung Rechtmittel beim Supreme Court einlegte. Der Supreme Court bat den EuGH mit seinem Vorabentscheidungsersuchen in erster Linie um Klärung der Anforderungen des Unionsrechts im Bereich der Speicherung der genannten Daten zum Zweck der Bekämpfung schwerer Straftaten.

Vorratsdatenspeicherung als Eingriff in die Grundrechte

Zur Begründung führte der EuGH (erneut) aus, dass die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (RL 2002/58/EG) insbesondere den Grundsatz des Verbots der Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten regelt. Jede Speicherung solcher Daten stellt nach Ansicht des EuGH somit zum einen eine Ausnahme von diesem Verbot und zum anderen einen Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten dar.

Beschränkungen dieser Grundrechte durch die Mitgliedsstaaten sind zwar gestattet, jedoch müssen sich diese an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen, also geeignet, erforderlich und insbesondere auch angemessen (verhältnismäßig im engeren Sinne) im Hinblick auf das verfolgte Ziel sein.

Die Vorratsdatenspeicherung ist mit dem Ziel der Bekämpfung schwerer Kriminalität jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn diese allgemein und unterschiedslos vorgenommen wird. Ein solch schwerwiegender Eingriff könne jedenfalls dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die Daten der Betroffenen zumindest keinen mittelbaren Zusammenhang mit dem verfolgten Ziel aufweisen.

Einen solchen Zusammenhang erkennt der EuGH – und legt auch die Blaupausen hierfür vor – ­, soweit die Vorratsdatenspeicherung zum Zwecke der Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dient und sofern die Vorratsdatenspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten  gezielt  anhand von  Kategorien betroffener Personen  oder mittels  geografischer Kriterien  erfolgt, also an strategischen Orten wie beispielsweise Flughäfen, Bahnhöfen oder aber auch Mautstellen.

Ebenso sei eine  allgemeine und unterschiedslose  Vorratsdatenspeicherung in Bezug auf die  IP-Adresse , sofern diese in zeitlicher Hinsicht auf das absolut Notwendigste begrenzt und in Bezug auf Identitätsdaten der Nutzer elektronischer Kommunikationsmittel, wie es bereits beim Erwerb von SIM-Karten erfolgt, zulässig.

Vorratsdatenspeicherung light unter Vorbehalt- „Quick-Freeze“

Darüber hinaus stuft der EuGH das sogenannte „Quick-Freeze“ Verfahren, also eine umgehende Sicherung von Verkehrs- und Standortdaten, die den Betreibern elektronischer Kommunikationsdienste zur Verfügung stehen, als grundsätzlich unbedenklich ein. Strafverfolgungsbehörden sollen etwaige Löschprozesse bei den Betreibern einstweilen aufhalten können. Relevante Daten werden symbolisch eingefroren und können durch einen richterlichen Beschluss „aufgetaut“ und anschließend rechtlich zulässig verwertet werden. Eine solches Modell stellt jedenfalls nach Ansicht des EuGH einen Kompromiss zwischen dem effektiven Strafverfolgungsinteresse auf der einen und dem informationellen Selbstbestimmungsrecht, insbesondere dem Datenschutzrecht der Betroffenen auf der anderen Seite dar. Eine solche „Vorratsdatenspeicherung light“ ist nicht neu und wurde bereits 2011 als Gesetzesentwurf vom Bundesministerium der Justiz vorgelegt.

Fazit

Aufgrund der (erneuten) Signalwirkung dieser EuGH-Entscheidung dürfte es mehr als wahrscheinlich sein, dass der Gesetzesentwurf von 2011 eine Renaissance erleben und das „Quick-Freeze“-Modell auch im deutschen Bundestag erneut für Diskussionen sorgen wird. Für Diskussionen wird ein solches Rechtsinstrument in der Privatwirtschaft spätestens auch dann sorgen, wenn personenbezogene Daten, die mit einer Löschfrist belegt sind, eingefroren und für ein späteres Ermittlungsverfahren wieder aufgetaut werden. Ob auch eine solche nationale Regelung ihren Weg in den Bundestag findet und überhaupt mit der DSGVO vereinbar ist, bleibt zunächst abzuwarten.

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